Schlagwortarchiv für: Ausgabe 09/2020

In Unternehmen auf Distanz zusammenzuarbeiten, bedeutet mehr als eine funktionierende Video-Konferenz. Für die virtuelle Zusammenarbeit in Organisationen müssen weitere Rahmenbedingungen richtig gestaltet werden. Nadine Soyez beschreibt, auf welche Punkte man achten muss, damit Remote-Teams erfolgreich sein können.

 

Unternehmen wurden im März 2020 sozusagen über Nacht in die digitale Transformation und virtuelle Zusammenarbeit gezwungen. Erste gute Schritte zur Veränderung und Digitalisierung in der Arbeitswelt sind passiert. Wichtig ist, die Erkenntnisse daraus zu reflektieren, durchgeführte Maßnahmen zu analysieren und für Nachhaltigkeit zu sorgen.

Viele Unternehmen gingen am Anfang der Corona-Krise davon aus, dass das Einführen von Kollaborations-Tools oder das Verlagern von Meetings in die Online-Welt für die Digitalisierung ausreicht. Tools sind aber immer nur ein Werkzeug. Damit virtuelle Organisation und Zusammenarbeit gelingen, müssen weitere Rahmenbedingungen richtig gestaltet werden, was immer noch viele Organisationen vernachlässigen. Dies betrifft: die Kommunikation, Workflows, Prozesse, Kultur, Führung, Team-Zusammenarbeit und Wissenstransfer.

Veränderung des Mindsets

Die Gestaltung positiver Mitarbeitererlebnisse ist dabei ein entscheidender Erfolgsfaktor: „Employee first“ ist die Devise. Insgesamt muss eine Teamkultur geschaffen werden, die Transparenz und Problemlösung fördert. Vertrauen stellt dabei die Basis dar. Führungskräften sollte klar sein, was sie tun können, um Vertrauen aufzubauen.

Das Messen der Produktivität nicht über Anwesenheit, sondern über Ergebnisse, ist dabei der größte Mindset-Shift für Führungskräfte. Sie sollten stets den Überblick über alles behalten und Transparenz schaffen, ohne ins Mikromanagement zu verfallen. Mikromanagement zerstört das Vertrauen und das Engagement. Vertrauen ist aber die fundamentale Basis für ein produktives Remote-Team.

Führungskräfte müssen ihre neue Rolle in der virtuellen Organisation besser verstehen. Eine gute Führungskraft eines virtuellen Teams setzt Ziele, macht Performance-Kriterien transparent, klärt Rollen und Verantwortlichkeiten, fördert den Team-Spirit, organisiert Ressourcen, gibt Feedback und zeigt Wertschätzung. Das klingt nicht neu. Jedoch wird alles, was in der analogen Büroumgebung manchmal kaschiert werden konnte bzw. beiläufig geschah, im virtuellen Team unerlässlich.

Tipps zur virtuellen Zusammenarbeit

Die folgenden Punkte zeigen, auf was es zu achten gilt, damit virtuelle Zusammenarbeit gelingt und das Unternehmen auch dann erfolgreich bleibt, wenn alle Mitarbeitenden im Homeoffice sind.

1) Erwartungen klären

Mitarbeitende sollten nicht einfach ins Homeoffice oder in die Remote-Arbeit geschickt werden. Im Vorfeld sind gemeinsam Erwartungen zu klären, wie die virtuelle Zusammenarbeit organisiert wird, wie zum Beispiel:

  1. Welche Meetings fest stattfinden
  2. Was man bei plötzlich auftretenden Problemen tun kann
  3. Wie der Informationsaustausch abläuft
  4. Wie Arbeitsergebnisse dokumentiert und transparent gemacht werden

Sehr hilfreich ist das Aufstellen eines Team Agreements, um diese Fragen zu beantworten. Wenn ein solches Team Agreement vom gesamten Team verabschiedet wird, besteht in der Regel ein weitaus höheres Engagement.

2) Klare Ziele setzen und Rollen definieren

Jeder und jede Mitarbeitende muss die Ziele des Unternehmens kennen und wissen, wie er oder sie zu den Unternehmenszielen beitragen kann. Das ist nichts Neues. Auch in einem Team das gemeinsam im Büro arbeitet, sind klare Ziele für die Orientierung jedes Einzelnen unerlässlich.

In einem virtuellen Team arbeitet allerdings jeder mehr im eigenen Kontext. Aber ein gemeinsamer Kontext ist wichtig, um in eine Richtung zu gehen und gemeinsam Ziele zu erreichen. Deshalb sollten Ziele so definiert werden, dass die Teammitglieder miteinander interagieren müssen, um ihre Ziele zu erreichen. So werden eine bessere Kommunikation, Abstimmung und Transparenz geschaffen. Und es wird vermieden, dass jeder als Einzelkämpfer isoliert für sich arbeitet. Die Mitarbeitenden sollten den Überblick über ihre Aufgaben und auch die des gesamten Teams behalten können.

Flexible Arbeitszeiten und mehr Autonomie bedeuten nicht, dass die Arbeit strukturlos wird. Struktur und Guidelines sind für Remote-Teams absolut notwendig, um eine enge und transparente Zusammenarbeit auch in einem verteilten Setup zu ermöglichen. Klare Verantwortlichkeiten und Transparenz darüber, wer über was Entscheidungen trifft und wer wann informiert werden muss, tragen dazu wesentlich bei. Dazu muss jeder im Team die eigene Rolle verstehen.

3) Lernen, effizient zu kommunizieren

Die Kommunikation auf Distanz kann verstärkt das Problem mitbringen, dass Nachrichten unterschiedlich interpretiert werden oder dass es wenig bis keine Rückmeldung gibt. Missverständnisse entstehen schnell, da die non-verbalen Informationen in einem virtuellen Team verloren gehen.

Virtuelle Zusammenarbeit besteht zu einem größeren Teil aus asynchroner Kommunikation. Schriftliche Kommunikation bildet somit die Grundlage für den Informationsaustausch untereinander. In Textnachrichten ist es viel schwieriger, Emotionen und eine klare Absicht auszudrücken. Es kommt oft vor, dass die Erwartungen in einer Nachricht falsch oder negativ interpretiert werden. Dann entstehen Missverständnisse und Konflikte.

Neben einer guten schriftlichen Kommunikation ist es entscheidend, die passenden Kommunikationskanäle auszuwählen. E-Mail ist immer noch das am meisten verwendete Kommunikationsmittel. Aber sie ist nicht immer die richtige Wahl. Vor allem nicht in schwierigen Situationen oder Konflikten. Daher ist es wichtig, das Konzept von Rich Media zu kennen und einen richtigen Medienmix anzuwenden. Rich Media meint eine Kommunikation, die nicht nur aus Text und Bild besteht, sondern zum Beispiel auch Animationen, Bewegtbild- oder Audio-Inhalte beinhaltet.

4) Vorteile synchroner und asynchroner Organisation kennen und einsetzen

Sowohl asynchrone als auch synchrone Kommunikation haben Vor- und Nachteile: Asynchrone Kommunikation erlaubt ein konzentriertes, störungsfreies Erledigen von Aufgaben und gibt jedem eine hohe Flexibilität.

Synchrone Online-Zusammenarbeit ist hingegen wichtig, um gemeinsam im Team Ideen zu generieren und Probleme zu lösen. Je mehr asynchron sich ein Team organisiert, desto mehr Aufwand und Opportunitätskosten für Dokumentation und Koordination entstehen, da der persönliche Wissensaustausch fehlt. Aber Mitarbeitende sind am produktivsten, wenn sie asynchron arbeiten und sich auf ihre Arbeit ohne Ablenkung konzentrieren können. Deshalb ist eine ausgewogene Balance auf Basis der Anforderungen des jeweiligen Business-Prozesses notwendig.

5) Informelle Kommunikation für Teambuilding einsetzen

Informelle Kommunikation ist für den Aufbau zwischenmenschlicher Beziehungen notwendig. Menschen brauchen das Gefühl, dass sie miteinander verbunden sind. Und gute Beziehungen untereinander sind die Voraussetzung für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Im Büro geschieht dies selbstverständlich. Die Einbindung von Remote-Mitarbeitenden ist eine Herausforderung. Das Herstellen von Verbundenheit und Konnektivität – was in der Büroumgebung automatisch geschieht – ist im virtuellen Team sowohl für Führungskräfte als auch Mitarbeitende mit mehr Planung verbunden. Isolation stellt ein großes Problem in virtuellen Teams dar.

Führungskräfte sollten aktives „Managing by walking around“ in der digitalen Arbeitsumgebung betreiben und regelmäßige Check-ins mit dem gesamten Team und einzelnen Mitarbeitenden vornehmen, um verbunden zu bleiben – was leider viele Führungskräfte auf Distanz vergessen. Remote-Mitarbeitende wünschen sich die gleiche Aufmerksamkeit wie alle anderen Mitarbeitenden im Büro.

Deshalb sollte auch virtuell genügend Freiraum für die informelle Kommunikation eingeräumt werden. Zum Beispiel könnten regelmäßige digitale Kaffee-Treffen stattfinden oder bei Online-Meetings die ersten zehn Minuten dem informellen Austausch dienen.

6) Feedback und Wertschätzung gezielt einsetzen

Das richtige Geben von Feedback ist ein integraler Bestandteil jeder guten Teamarbeit – egal ob im Büro oder remote. Im virtuellen Team nimmt das Feedback jedoch einen besonderen Stellenwert ein. Es gleicht aus, was wir im Remote-Team in der persönlichen menschlichen Interaktion verlieren. Feedback sollte nicht nur nach Erledigung der Aufgabe erfolgen, sondern auch während des Arbeitsprozesses. Dies schafft mehr Transparenz, es können Zwischenergebnisse besprochen und Probleme geklärt werden. Denn gerade auf Distanz trauen sich viele Mitarbeitende nicht, bei auftretenden Problemen Kollegen oder die Führungskraft zu kontaktieren. Zudem motiviert ein wertschätzendes Feedback zwischendurch die Mitarbeitenden enorm. Es reicht aus, einfach regelmäßig „Danke“ zu sagen. Das „Danke sagen“ wird im virtuellen Team leider oft vergessen.

7) Tools richtig einführen und nutzen

Nicht zuletzt braucht eine virtuelle Organisation die passenden Tools. Tools sollten nicht einfach eingeführt werden. Die Mitarbeitenden werden diese kaum akzeptieren oder richtig nutzen. Das machen die meisten Unternehmen falsch. Zuerst gilt es, die Prozesse und Workflows zu analysieren, um dann zu entscheiden, welche Tools und Features diese unterstützen sowie welche Vorteile die Mitarbeitenden in der täglichen Arbeit durch sie haben.

Man denkt oft, je mehr Werkzeuge man hat, desto produktiver ist man. Es geht jedoch immer zuerst um Prozesse und Arbeitsabläufe und darum, diese mit den richtigen Tools zu verbessern. Klare Richtlinien und Regeln sorgen für Klarheit, wie die Tools in den verschiedenen Szenarien der Zusammenarbeit zu nutzen sind und wo welches Wissen zu finden ist.

Unternehmen sollten Chancen und Möglichkeiten nutzen, die Digitalisierung der Arbeitswelt weiter voranzutreiben und auf die gewonnenen Erkenntnisse aus den vergangenen Monaten zurückgreifen. Bei aller Flexibilität benötigen virtuelle Teams klare Strukturen und Regeln, um effektiv und effizient wirken zu können.

Autorin:

Nadine Soyez ist seit 2005 Management Consultant bei Virtual Team Heroes und hat langjährige Erfahrung aus Projekten in namhaften Management-Beratungen, IT-Beratungen und im Konzernumfeld. Sie ist spezialisiert auf die Zusammenarbeit und Führung auf Distanz. In diesem Kontext unterstützt sie Unternehmen bei der Gestaltung von Organisation, Team-Prozessen sowie bei der richtigen Nutzung von Tools.

 

Nicht allen Führungskräften ist bewusst, dass der beste Weg zu begeisterten Kunden, begeisterte Mitarbeiter sind. Dabei ist die Gestaltung positiver Mitarbeitererlebnisse mithilfe von Employee Experience Design ein entscheidender Erfolgsfaktor für ein Unternehmen. Der Beitrag „Employee Experience Design bewirkt positive Mitarbeitererlebnisse“ thematisiert dies.

Ich möchte hier eine Beobachtung teilen: Und zwar habe ich bereits bei einer Handvoll Unternehmen wahrgenommen, dass „Change“ nicht mehr „Change“ heißen darf. Mehr und mehr Führungskräfte mögen das Wort nicht mehr verwenden – auch wenn die Veränderung oder gar die Transformation noch so groß ist.

Zwei Beispiele aus meiner Beratertätigkeit. Für eine Organisation hatte ich den Auftrag eine Change Story zu konzipieren, also die Transformation mit einer gemeinsamen Story-Entwicklung zu begleiten. Nach einiger Zeit hieß es von Seiten des oberen Managements, dass es gar nicht um Change ginge, sondern einfach um eine evolutionäre Entwicklung. Das Wort „Change“ sollte nicht mehr verwendet werden.Die Change Story wurde zur Story.

In einem anderen Unternehmen habe ich ein Multiplikatoren-Team begleitet, das zuerst „Change Team“ hieß. Doch das Team war mit dem Namen alsbald unzufrieden und benannte sich in „Culture Development Team“ um. Man war der Meinung, dass „Change“ zu viel Befürchtungen auslöse.

Die Motivation, auf Begriffe wie „Change“, Veränderung“ oder „Transformation“ zu verzichten, ist nachvollziehbar. Schließlich verbinden Menschen mit ihnen in der Regel enorme Anstrengungen. Sie lösen bei vielen deshalb erst einmal Widerstand aus. Unser Gehirn liebt eben Routinen.

Und nun finden gar in Organisationen Veränderungen in immer kürzeren Zyklen statt. Dadurch wird auch die Sehnsucht der Spitzenmanager nach dem „unsichtbaren Change“ größer, nach Veränderungen, die schnell wirksam sind, aber keine Angst machen.

Die Veränderungen müssen dann allerdings eher implizit vonstattengehen, eher als Teil einer kontinuierlichen Entwicklung von den Mitarbeitenden gesehen werden und weniger als ein über allem drohenden Schreckgespinst, das schon wieder von oben ausgerollt wird. Es braucht dann die geräuschlose Integration in den Alltag statt die abrupte Vollbremsung und den radikalen Spurwechsel. Das funktioniert aber nur, wenn die Mitarbeitenden involviert werden. Wenn sie den Change selbst mitgestalten, wenn sie Einfluss auf die Veränderung haben, wirkt sie weniger bedrohlich.

Immer von Change zu reden, nutzt sich ohnehin irgendwann ab. Diese mahnenden Worte des Managements, die immer dringlicher und verzweifelter werden, dass man sich doch verändern müsse als Organisation; dieses „Nach dem Change ist vor dem Change“ oder das Gerede vom „Change als Dauerzustand“ – natürlich nervt das die Mitarbeitenden – und vor allem dann, wenn man als Mitarbeitender bzw. Mitarbeitende nur ausführen und nicht mitreden darf.

Letztlich geht es doch darum, die Zusammenarbeit innerhalb der Organisation zu verbessern und Antworten auf (neue) Herausforderungen zu finden. Der „Change“ verliert an Schrecken, wenn er aus der Mitte der Organisation kommt und Mitarbeitende, Führungskräfte und Teams sich an diesen Herausforderungen gemeinsam versuchen. Eine passende Antwort zu finden in iterativen Schleifen, Schritt für Schritt, gewöhnt die Menschen leichter an das Neue, weil es in verträglichen kleinen Portionen kommt und sie in einer aktiven Position sind.

Ich bin überzeugt davon, dass „Change“ auf diesem Wege durchaus in vielen Fällen praktisch „unsichtbar“ stattfinden kann – wenn denn der Fokus auf kulturellen und prozessualen Veränderungen liegt.

Im Übrigen kann die „implizite“ Veränderung ebenfalls durch Geschichten verstärkt werden. Multiplikatoren, die ihre Erfolgsgeschichten des Wandels erzählen, die inspirieren, ohne aufdringlich zu sein; Botschafterinnen und Botschafter, die zeigen, wie man das Problem lösen kann; der Unternehmensbereich, der bereits agil arbeitet und darüber beim Brown Bag Lunch begeisternd erzählt; die Führungskraft, über die als positives Beispiel berichtet wird. Das alles eher leise und nicht laut, überzeugend und nicht drohend, glaubwürdig und nicht verächtlich, nicht frontal und von oben, sondern auf Augenhöhe – eben Change durch die Hintertür, fast unsichtbar.

Senden Sie gerne Ihre Meinung an chefredaktion@changement-magazin.de.

 

Mitarbeiter sind oft change-müde, denn es fehlt an echtem Verständnis für ihre Bedürfnisse und ihre Autonomie. Über „Die Bedeutung von Autonomie für erfolgreiche Change-Prozesse“ schreibt Dr. Nico Rose in seinem Beitrag.