Schlagwortarchiv für: Ausgabe 07/2021

Changeability ist bisher fast ausschließlich als organisatorische Veränderungsfähigkeit beschrieben worden. Damit sich Organisationen und Systeme allerdings überhaupt verändern können, benötigt es handelnde Menschen. Sie brauchen die entsprechende Bereitschaft und die Kompetenzen für den Wandel.

Die Corona-Pandemie hat viele Angestellte in Unternehmen einem Wandel ausgesetzt, der lange noch nicht abgeschlossen ist. Durch die isolierte Situation im Homeoffice wird die Integration im Rahmen der aktuellen Veränderungsprozesse noch erschwert, da der informelle Austausch mit anderen Betroffenen in der gleichen Situation fehlt. Viele Mitarbeitende wirken orientierungslos. Welche Kompetenzen könnten Ihnen bei der Bewältigung und Gestaltung der Veränderungen helfen?

Der tiefe Abgrund im Change für Mitarbeitende

Menschen benötigen zwei fundamentale Dinge, damit sie gut leben und lernen können: Sie brauchen ein geschütztes Nest, von dem aus sie agieren, und sie brauchen Entfaltungsmöglichkeiten.
(frei nach Gerald Hüther)

Goethe nennt diese zwei Grundlagen Wurzeln und Flügel. Für viele Mitarbeitende sind die aktuellen Veränderungsprozesse eine Katastrophe, weil ihnen das Nest genommen wurde und in den Turbulenzen des Wandels auf ihre Entfaltungsmöglichkeiten nicht eingegangen werden kann. Sie fühlen sich, als hätte man ihnen die Flügel gestutzt, da sie in immer engeren Zeitfenstern immer mehr leisten sollen und oft nicht verstehen, wie ihnen geschieht. Die Pandemie hat diese Entwicklung katalysiert, beispielsweise durch die Minimierung von sozialen Kontakten, die vorher viel zum persönlichen Verstehen und damit zum Verarbeiten und Integrieren von Veränderungsprozessen beigetragen haben.

Natürlich ist das ein bekanntes Phänomen im Change Management. In jedem ordentlich vorbereiteten Veränderungsprozess wird auf möglichst viel Sicherheit für Mitarbeitende in unsicheren Zeiten geachtet. Sei es durch klare Kommunikation zur richtigen Zeit, Sicherung von Zwischenbilanzen oder saubere Interimsregeln. Auch erste Ergebnisse werden möglichst schnell gewürdigt, sodass die Motivation nicht auf der Strecke bleibt.

Die Schwelle vom Alten zum Neuen schaffen

All diese schützenden Begleitmaßnahmen im Change liegen jedoch häufig brach oder werden nur auf kleiner Flamme gekocht, vor allem wenn Unternehmen im Überlebensmodus sind und das Alltagsgeschäft Vorrang hat. Und für viele Beschäftigte, die sich zwischen der alten und der neuen Situation mit und nach Corona befinden, tut sich ein tiefer Abgrund auf. Sie fühlen sich bei der Überquerung alleingelassen.

Harald sieht sich damit konfrontiert, dass seine Abteilung aufgrund von Umsatzeinbrüchen geschrumpft wurde und er sich mit 54 einen neuen Job suchen darf. Die Entscheidung wurde ihm letzte Woche telefonisch von seinem Chef mitgeteilt.

Lena versucht ihre 70-Prozent-Stelle mit der Betreuung der zwei kleinen Kinder im Lockdown bzw. nach dem Lockdown zu vereinbaren. Sie darf bis auf Weiteres noch nicht in Präsenz arbeiten. Die Stringenz und Effektivität im Job leiden, weil Privates und Arbeit sich zu sehr vermischen.

Genau diese Schwelle vom Alten zum Neuen hat es schon immer in sich gehabt und wird seit Jahren in der Transitionsforschung untersucht. Im Unternehmenskontext gibt es bislang wenig Hilfestellung und oftmals nur Anforderungen: Möglichst schnell und reibungslos soll die Überquerung gehen. Das wird von vielen Mitarbeitenden so interpretiert: Entweder ich schaffe es, mich irgendwie anzupassen, und das möglichst schnell – oder ich bin raus aus dem Spiel. Nicht selten führt dieser innere Druck allerdings in den Burn-out, was ganz nebenbei als betriebswirtschaftlicher Kostenfaktor in der Pandemie-Folgenabschätzung einkalkuliert werden müsste.

Aufbau vonVeränderungskompetenzen

Wie wäre es, die Folgen der riesigen Corona-Transformation nicht länger dem Zufall zu überlassen? Wie wäre es, Mitarbeitende beim Aufbau ihrer Veränderungskompetenz systematisch zu unterstützen, um allen die Transformationsbewältigung und Zukunftsgestaltung leichter zu machen?

Changeability ist bisher fast ausschließlich als organisatorische Veränderungsfähigkeit im Change Management beschrieben worden. Damit sich Organisationen und Systeme allerdings überhaupt verändern können, benötigt es handelnde Menschen. Changeability wird hier als das Gesamtvermögen und die Bereitschaft eines Mitarbeitenden definiert, sich zu verändern. Denn nur veränderungsfähige Menschen gestalten veränderungsfähige Systeme. Das ist der bisher wenig beachtete Grundpfeiler im Change, der so weit unten in der Architektur sitzt, dass sein Fehlen später zum Einstürzen des ganzen groß angelegten Change-Gebäudes führen kann.

Changeability-Förderung bietet für alle Beteiligten erste Leitplanken, an denen sich Mitarbeitende Schritt für Schritt in ihrem eigenen Veränderungsprozess weitertasten können, ohne den Boden unter den Füßen zu verlieren. Sie lernen, sich ihre eigenen Brückenelemente oder Trittsteine zu schaffen und ihren Veränderungsweg zu gehen – manche zögerlich, andere zügiger. Aber der Weg über die Schwelle sowie durch das „Nicht mehr“ und „Noch nicht“ wird gangbar.

Abbildung 1 zeigt die Grundpfeiler der Changeability:

1 Mitarbeitende müssen verstehen, was mit ihnen passiert.
2 Sie sollen ein Gefühl dafür entwickeln, dass der Prozess machbar ist.
3 Und sie müssen selbst einen Sinn darin sehen oder selbst konstruieren lernen.

Dann wird die Kohärenz, also der innere Zusammenhang wiederhergestellt, den der Medizinsoziologe Aaron Antonovsky in seinem Salutogenese-Ansatz beschreibt. Die Kernfrage der Salutogenese in Abgrenzung zur Pathogenese ist, wie Menschen auch in herausfordernden Situationen gesund bleiben und immer wieder neu handlungsfähig werden.

Aufklärung und Prozesswissen

Menschen müssen in Veränderungsprozessen verstehen, was mit ihnen passiert. So sind viele emotionale „Befindlichkeiten“ prozessbedingt, also systemisch. Wenn Mitarbeitende das nicht wissen, betrachten sie Zustände, die im Change auftreten, wie Trauer, Regression, Verzweiflung, Überforderung, Wut und Angst als persönliches Versagen und fühlen sich schuldig – auch gegenüber ihren Unternehmen.

Hier ist Aufklärung notwendig: Beschäftigte lernen, dass bestimmte emotionale Reaktionen in bestimmten Prozessphasen völlig normal sind. Sie lernen, sich selbst in Veränderungsprozessen von einer Metaebene aus mithilfe von Veränderungsmodellen besser einzuschätzen und ihr bisheriges Verhalten und Handeln zu reflektieren, um die emotionale Ladung zu vermindern.

Ressourcenstärkung und Komplexitätsreduktion

Ressourcen können nur genutzt werden, wenn sie bewusst und damit verfügbar gemacht werden. Menschen kennen in überfordernden Situationen nur die drei Reaktionen unseres Reptilien-Gehirns als Fight-, Flight- oder Freeze-Zustand. Auf einen Großteil der evolutionsbiologisch neueren Gehirnregionen, die für vernünftiges Abwägen und Entscheidungen zuständig sind, kann nicht mehr zugegriffen werden.

Hier hilft es, in geschütztem Rahmen und sicherer Umgebung eine komplexe Situation in Schritte zu zerlegen, die wieder handhabbar werden oder mit kreativen und intuitiven Methoden diese Situationen erst einmal im inneren Probehandeln zu bearbeiten. Erst dann können Ressourcen gesammelt und gesichtet werden.

Kompetenzaufbau, dass es kracht

Wir alle sind keine Veränderungsanfänger und haben schon viel gewuppt in unseren Leben. Jeder Mitarbeitende bringt also einen großen individuellen Erfahrungsschatz an Coping-Strategien und Veränderungskompetenzen mit. Dieser Schatz muss gehoben und sortiert werden: Was brauche ich für diesen spezifischen Veränderungsprozess? Was fehlt mir noch? Wie, wo und womit kann ich einzelne, bei mir schwächer ausgeprägte, aber aktuell notwendige Veränderungsfähigkeiten entwickeln?

Diese spezifischen Kompetenzen, die nach der Selbsteinschätzung der Mitarbeitenden im aktuellen Prozess benötigt werden, werden erfasst und gezielt über Lernimpulse gefördert.

Das Changeability-Trainingsmodell

Changeability besteht wie jede Kompetenz aus drei Dimensionen:

  • den Veränderungsfähigkeiten
  • den Veränderungsmöglichkeiten
  • der Veränderungsbereitschaft

Die komplexe Veränderungskompetenz wird in neun Subkompetenzen unterteilt, wie sie im Rahmen der Laufbahnforschung von mir bereits 2009 beschrieben wurden.

Das Changeability-Trainingsmodell

 

Nicht jede Einzelkompetenz ist allerdings in jedem Veränderungsprozess relevant. Das Modell bietet aber einen umfassenden Orientierungsrahmen, welche Kompetenzen zur Bewältigung und Gestaltung von Veränderungs- und Übergangsprozessen aller Art erforderlich sind.

Alle neun Kompetenzen können in verschiedenen Settings systematisch und möglichst praxisbezogen an der eigenen Veränderungssituation erlernt werden. Dazu benötigt es didaktische Change-Improvisation, um so viel Lernimpulse wie möglich für Mitarbeitende in verschiedenen Formaten nach dem Prinzip des „Nudging“ bereitzustellen. Dieses beschreibt die Online- und Vorort-Inszenierung einer veränderungsfreundlichen Mitarbeiterkultur, an der man einfach nicht vorbeikommt. So können sich alle die Unterstützung abholen, die zu ihrer Arbeits- und Lebensform passt. Unternehmen können beispielsweise:

  • Online-Kurse bereitstellen, die auch im Homeoffice von Mitarbeitenden mit einem täglichen Learning-Nugget genutzt werden können
  • Mitarbeitergespräche als Change-Gespräche verstehen und beim Kompetenzaufbau mit Reflexionsfragen unterstützen
  • spezifisch ausgebildete Veränderungscoachs zur Verfügung stellen (zum Beispiel Personalentwickler, externe und interne Beratende), die Menschen in Krisensituationen als Change Agents begleiten
  • Training on the Job mit kompetenzorientierten Impulsen durch geschulte Vorgesetzte anbieten
  • Change-Storytelling- oder Change-Fuckup-Veranstaltungen im Unternehmen (auch vonseiten der Führungskräfte) organisieren
  • Speaker-Events mit Change-Vorbildern zur Mitarbeitermotivation durchführen
  • Changeability-Trainings in Teams vor Ort oder online anbieten
  • Change Groups fördern, in denen sich Mitarbeitende in Erfolgsteams selbst bezüglich ihrer individuellen Veränderungsprozesse begleiten können

Den Change als gemeinsamen Lernprozess erleben

So können indirekt und sehr praxisbezogen auch die Einstellungen zu Veränderungsprozessen beeinflusst werden. Beispielsweise indem die Ressourcen plötzlich doch ausreichend scheinen, die Herausforderungen bewältigbar oder indem Widerstand durch Verstehen bestimmter Grundgesetze der Veränderung verringert wird. Auch die Veränderungsmöglichkeiten sind für Mitarbeitende plötzlich besser zu sehen: Jede Veränderungssituation bietet eine Menge Gestaltungsmöglichkeiten für den, der wachsam ist und schnell reagiert.

In all diesen Kompetenzentwicklungsangeboten zur Steigerung von Changeability wird ein freiwilliger ressourcen- und kompetenzorientierter Weg aufgezeigt, den Sprung ins Neue zu wagen und das jeweils Bestmögliche daraus zu machen. Dazu gehört auch das Vermitteln der Vorstellung, dass das Lernen von Veränderungskompetenz im Unternehmen durchaus für Veränderungsprozesse im Privatleben nützlich ist.

Diese Sicht auf die Changeability fördert und unterstützt eine positivere Haltung zum Kompetenzerwerb. Angebote zur Entwicklung von Changeability können bewirken, dass Mitarbeitende sich wieder mehr gesehen und wertgeschätzt fühlen. Sie merken, dass es ihrem Unternehmen nicht gleichgültig ist, wie es ihnen geht und wie sie den Veränderungsprozess bewältigen. Mitarbeitende erleben den Change-Prozess als gemeinsamen Lernprozess, in dem alle mit ähnlichen Problemen und Widerständen kämpfen – auch die Führungskräfte. Das entlastet psychisch.

Im besten Falle lernen sie, sich gegenseitig zum Beispiel in Change Groups zu unterstützen. Darin merken sie, dass sie nicht nur ohnmächtig sind, sondern sogar anderen weiterhelfen können. In einer echten veränderungsfreundlichen Kultur ist der Wandel nicht länger der Ausnahmezustand, der möglichst schnell überwunden werden muss, sondern der Normalfall, der willkommen geheißen wird.

 

 

Autorin

Dr. Martina Nohl
berät seit vielen Jahren Einzelpersonen und Teams in Veränderungsprozessen. Im Rahmen von Human-Change-Projekten unterstützt sie Unternehmen, ein modulares Changeability-System für Mitarbeitende aufzusetzen. Sie ist Geschäftsführerin der Akademie für Coachs und bietet Weiterbildungen in Change-Coaching und Career-Designing an.
»Martina bei LinkedIn

Transformationen erfordern volles Mitarbeiter-Engagement. Halbherzige oder sporadische Einbindung reicht nicht. Die begleitende Change-Unterstützung sollte stringent an ihren Bedürfnissen und Erfahrungen ausgerichtet werden. Ein entsprechendes Framework liefert der Ansatz Change Experience: „Change Experience: Bedürfnissen der Mitarbeitenden im Fokus“.

Der Begriff der emotionalen Intelligenz ist in der modernen Arbeitswelt populär. Vor allem Führungskräfte sollten heute emotional intelligent sein, wenn sie Karriere machen wollen, heißt es häufig. Die Wissenschaftlerin Myriam Bechtoldt hat einen differenzierten Blick darauf. Im Gespräch erklärt sie, was sich hinter dem Begriff verbirgt und was leistungsstarke Führungskräfte in der Regel besonders auszeichnet.

Frau Bechtoldt, was ist eigentlich emotionale Intelligenz?

Emotionale Intelligenz ist ein Konstrukt, das insbesondere mit dem Erscheinen des Bestsellers „Emotionale Intelligenz“ von Daniel Goleman Mitte der 90er-Jahre schlagartig an Popularität gewonnen hat. Eine Behauptung von ihm, mit der er häufig zitiert wurde, lautet: „Menschen mit hohem IQ werden eingestellt, aber die Menschen mit hohem EQ werden befördert.“

Nach Daniel Goleman ist emotionale Intelligenz ein bunter Strauß an Fähigkeiten und Eigenschaften. Dazu gehören unter anderem: die Fähigkeit, sich selbst zu motivieren, auch in frustrierenden Situationen am Ball zu bleiben; seine Impulse zu kontrol lieren und Belohnungen aufschieben zu können; fähig zu sein, seine Stimmungen zu regulieren; sich nicht von Stress überwältigen zu lassen sowie empathisch und hoffnungsvoll zu bleiben.

Sie sehen: Es ist eine ganze Menge, die laut Goleman zu emotionaler Intelligenz gehört. Goleman ist kein Wissenschaftler. Was er im Wesentlichen gemacht hat, war, existierende Literatur zusammenzufassen und dem Ganzen ein neues Emblem zu geben. Mit vielem davon beschäftigte sich die akademische Psychologie aber schon mehrere Jahrzehnte.

Was ist vor allem das Problem mit Golemans Begriff, außer dass er alten Wein in neuen Schläuchen verkauft hat?

Das Problem mit seiner Definition besteht vor allem darin, dass er Dispositionen mit Fähigkeiten verwechselt. Zum Beispiel sagt er, dass man hoffnungsvoll bleiben können sollte. Damit spricht er eine Disposition wie Optimismus an. So etwas würde man in der Regel mit Fragebögen erfassen, man fragt nach dem typischen Erleben und Verhalten. Dabei gibt es keine richtige oder falsche Antwort. Es geht um die persönliche Selbsteinschätzung. Die zu befragende Person entscheidet dabei allein, welche Wahrheit sie von sich preisgibt. Das ist anders als beispielsweise bei Leistungstests, mit denen die kognitive Intelligenz gemessen wird.

Das heißt, man kann emotionale Intelligenz nicht messen?

Doch, man tut es nur nicht, wenn man die Definition von Goleman verwendet, die eben nicht valide ist. Die wissenschaftliche Definition ist eine andere, und sie ist enger. Danach umfasst emotionale Intelligenz die Fähigkeit, eigene und andere Emotionen zu erkennen, zu verstehen und sie zielgerichtet zu verwenden, um eigenes Verhalten zu steuern, aber auch das Verhalten der anderen.

Das heißt, es gibt drei wesentliche Komponenten: Erstens Emotionserkennung. Damit ist immer die nonverbal kommunizierte Emotion gemeint, die zum Beispiel über den Gesichtsausdruck, den Tonfall oder unsere Körperhaltung transportiert wird.

Die zweite Komponente ist emotionales Verständnis, das ganz viel mit Wissen über Emotion zu tun hat. Wissen Sie zum Beispiel, dass Überraschung eine komplexe Emotion ist, die aus zwei Grundemotionen besteht, nämlich Freude, aber auch ein wenig Angst? Oder wissen Sie, welche Umstände dazu führen, dass ein Gefühl wie Frustration ausgelöst wird?

Und was ist die dritte Komponente?

Das ist die Emotionsregulation, sowohl bei sich selbst als auch bei anderen Menschen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Nehmen wir an, Sie sind eine Führungskraft, die mit dem Team ein Meeting hat, und es sollen Ideen zu einem Thema gebrainstormt werden. Es herrscht aber aus irgendwelchen Gründen im Raum eine schlechte Stimmung. Zunächst wäre die Frage: Nehmen Sie wahr, dass die Stimmung, die in dem Raum besteht, nicht die passende ist, um kreative Ideen zu sammeln? Und zweitens: Sind Sie in der Lage, die Stimmung so zu verändern, dass eine kreative Ideen-Session stattfinden kann?

Ist das nicht übergriffig? Die Menschen haben eine Emotion, aber ich als Führungskraft möchte, dass sie eine andere haben, also betreibe ich Emotionsregulation.

Durchaus. Man kann diese zum Wohle seiner Mitmenschen einsetzen, beispielsweise um ihre Stimmung zu heben, damit es ihnen besser geht. Man kann sie aber auch für den eigenen Vorteil nutzen. Emotionale Intelligenz ist wie ein Messer: Sie können damit Brot schneiden oder jemandem ins Herz stechen. Das hängt von ihrer Motivation ab, und welche Absicht Sie verfolgen.

Sind kognitiv intelligente Menschen immer auch emotional intelligent? Oder sind sie es im Gegenteil meistens eher nicht?

„Zur Intelligenz gehört eine ganze Reihe von Faktoren.“

Wie zum Beispiel logisches Denken oder verbales Verständnis, aber eben auch die emotionale Intelligenz, und die besteht aus den drei Elementen, die ich genannt habe. Emotionale Intelligenz umfasst sozusagen allgemeine Intelligenz angewandt auf emotionale Sachverhalte. Sie ist zwar etwas anderes als die Fähigkeit, Matheaufgaben zu lösen, aber sie hat ebenso mit der Leistungsfähigkeit des Gehirns zu tun. Deshalb korreliert emotionale Intelligenz positiv mit anderen Faktoren der Intelligenz – auch wenn der Zusammenhang nicht sehr stark ist. Dieses Bild vom Computer-Nerd, der gut programmieren kann, jedoch emotional zurückgeblieben ist, ist nicht repräsentativ, im Gegenteil. Kognitiv intelligente Menschen haben gute Voraussetzungen, auch emotionale Intelligenz zu zeigen. Manche haben aber vielleicht einfach kein Interesse daran.

Sind emotional intelligente Menschen tendenziell gute Führungskräfte?

Prinzipiell ja. Aber es kommt eben auf die Motivation der Führungskraft an und wie sie ihre emotionale Intelligenz einsetzen möchte. Im Job hat man mit Menschen zu tun, und alle Menschen haben Emotionen. Mal fühlen wir uns gut, mal fühlen wir uns schlecht. Wir müssen mit Stress umgehen, wir müssen mit Misserfolg umgehen. Oder es passieren positive Dinge, die Euphorie auslösen. Das bedeutet: In der Lage zu sein, im Arbeitskontext zu einem positiven emotionalen Klima beizutragen, ist natürlich auch für einen Chef oder eine Chefin von Vorteil. Und mehr noch: Man erwartet es von einer Führungskraft. Entscheidend sind jedoch ihre jeweiligen Absichten.

Angenommen, ein Unternehmen will Führungskräfte finden, die einen leistungsstarken Job machen. Würden Sie empfehlen, dann eher weniger nach der emotionalen und mehr nach der kognitiven Intelligenz zu schauen?

In der Tat. Die wissenschaftliche Evidenz zeigt, dass die Korrelation zwischen kognitiver Intelligenz und Job-Performance sehr stark ist. Hingegen ist der positive Zusammenhang zwischen emotionaler Intelligenz und Job-Performance nur sehr schwach ausgeprägt. Das heißt, das Wichtigste, was ich von einem neuen Mitarbeitenden wissen muss, ist, ob er oder sie in der Lage ist, einen guten Job zu machen. Und eine Antwort darauf können Aussagen zu kognitiver Intelligenz geben.

Wenn eine Führungskraft ein Team hat, das zerstritten ist, und sie möchte den Konflikt schlichten, reicht dann die kognitive Intelligenz der Führungskraft, um erfolgreich zu sein?

Nein, dann kommt sicherlich die emotionale Intelligenz ins Spiel. Wenn es beispielsweise eine Gruppe an Führungskräften gäbe, die alle gleich kognitiv intelligent wären und damit die gleichen Voraussetzungen mitbringen würden, um den Job machen zu können, dann sollte man im zweiten Schritt die emotionale Intelligenz der Führungskräfte in den Blick nehmen. Es sind die im Vorteil, die in der Lage sind, mit den Emotionen ihrer Mitarbeitenden konstruktiv umzugehen – und natürlich auch mit den eigenen Emotionen.

Kann man sagen, es ist ein Indiz für eine geringe emotionale Intelligenz, wenn eine Führungskraft auf kritisches Feedback mit einem Wutausbruch reagiert?

Eindeutig, denn es ist klar, dass das keine zielführende Reaktion ist, um mit dem Mitarbeitenden weiter konstruktiv zusammenzuarbeiten.

Lässt sich beobachten, ob Führungskräfte in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten und Jahren größere emotionale Intelligenz zeigen?

Was sich verändert hat, ist unsere Vorstellung davon, was gute Führung ausmacht. Der am intensivsten erforschte Führungsstil ist transformationales Führungsverhalten, der Obama-Führungsstil sozusagen. Der Stil hat zunehmend an Bedeutung gewonnen. Wir leben in einer komplexen Welt. Führungskräfte sind meist nicht mehr in der Lage, Mitarbeitenden zu sagen, was sie zu tun haben. Häufig wissen das Mitarbeitende selbst besser, weil sie die Experten im jeweiligen Bereich sind. Die Führungskraft kann aber eine Vision vermitteln, die begeistert, und sie kann die Zuversicht vermitteln, dass diese Vision erreicht werden kann. Das ist transformationales Führen.

„Transformationales Führen hat viel mit emotionaler Intelligenz zu tun.“

Und die diesbezüglichen Ansprüche an Führungskräfte sind in den vergangenen Jahren gestiegen?

Ja. Mitarbeitende wünschen sich immer mehr ein partnerschaftliches Führen auf Augenhöhe. Sie wollen eine Führungskraft, die unterstützt und empathisch ist. Das entspricht auch dem kulturellen Selbstverständnis von vielen Organisationen.

Ich habe allerdings einmal gelesen, dass die Fähigkeit zur Empathie bei Führungskräften ab nimmt, je höher sie in der Hierarchie eines Unternehmens steigen. Ist das richtig?

Nicht die Fähigkeit nimmt ab, sondern die entsprechende Motivation. Wir alle sind in der Lage, empathisch zu sein, aber wir sind es nicht in jeder Situation. Der Punkt ist, ich muss in der Stimmung sein für ein empathisches Verhalten. Das hat viel mit der Beziehung zu der jeweils anderen Person zu tun oder beispielsweise mit der eigenen aktuellen Stressbelastung.

Aber Sie haben insofern Recht: „Macht korreliert negativ mit Empathie.“

Je mächtiger jemand ist, desto weniger macht er sich Gedanken über die, die ihm untergeordnet sind. Man denkt eher über die nach, die Macht über einen haben, weil sie vermeintlich das eigene Fortkommen stark beeinflussen.

Kann man emotionale Intelligenz trainieren?

Ja, das kann man. Jede Form des Coachings, jede Psychotherapie ist ein Training in emotionaler Intelligenz. In einer Psychotherapie lernt man beispielsweise, die eigenen Emotionen wahrzunehmen und mit Emotionen umzugehen – sowohl mit den eigenen als auch mit denen der anderen. Das funktioniert; Beleg dafür ist zum Beispiel, dass Krankenkassen die Kosten von Psychotherapie übernehmen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Jan C. Weilbacher.

 

changement! Heft 07/2021

 

Interviewpartnerin

Prof. Dr. Myriam Bechtoldt
ist Diplom-Psychologin und Professorin für Leadership an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht. Mit emotionaler Intelligenz beschäftigt sie sich in ihrer Forschungsarbeit. Zudem ist sie systemische Psychotherapeutin und Coachin. In einem aktuellen Projekt untersucht sie, ob erfolgreiche Führungskräfte emotional intelligenter sind als ihre Mitarbeitenden. Teilnehmen können Teams aus jeweils einer Führungskraft und mindestens fünf Mitarbeitenden. Interessierte erhalten nähere Informationen unter leadership@ebs.edu

 

Immer und immer wieder kommunizieren – auf allen Kanälen

Im Mai stellte Evonik Industries als eines der ersten großen deutschen Spezialchemieunternehmen sein ERP-System auf den neuen SAP-Standard S/4HAnA um. Ein Kraftakt, der technisch anspruchsvoll war und mehr als 15.000 Anwenderinnen und Anwender in über 40 Ländern betraf. Mit umfassenden Change-Management-Maßnahmen wurden die Mitarbeitenden darauf sorgfältig vorbereitet.

Als Evonik 2019 beschloss, sein ERP-System auf SAP S/4HANA umzustellen, war klar: Ein Projekt dieser Größenordnung erfordert intensive Vorbereitung und globale Zusammenarbeit. Evonik etablierte dazu das Programm NexGen ERP mit rund 450 Projekt-Mitarbeitenden, in dem alle Teilprojekte gebündelt wurden und alle Fäden zusammenliefen.

Mehr als zwei Jahre lang arbeiteten Business und IT in diesem Programm eng zusammen, um die Umstellung vorzubereiten. Am 24. Mai 2021 war es dann so weit: Über Nacht ersetzte Evonik das alte ERP-System durch das neue System S/4HANA, der Betrieb ging nahtlos weiter.

Change Management als Schlüssel zum Erfolg

Nun könnte man meinen, dass eine solche Systemumstellung in erster Linie Aufgabe der IT-Abteilung ist. Doch neben den technischen Vorarbeiten und umfangreichen Tests des zukünftigen Systems galt es auch, die Anwenderinnen und Anwender darauf einzustimmen:

  • durch kontinuierliche, frühzeitige Informationen
  • durch umfangreiche Schulungen
  • durch Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner in allen Regionen und Organisationseinheiten

Denn es sind die Anwender, die mit den neuen Prozessen und dem veränderten System arbeiten müssen. Um dies strukturiert anzugehen, setzte Evonik ein Change Management Office (CMO) für das Programm NexGen ERP auf:

Abbildung: Projektorganisation mit Change Management Office (CMO)

Projektorganisation mit Change Management Office (Evonik)

Im ersten Schritt konzentrierte sich das CMO darauf, zu verstehen, was die Umstellung für die Anwenderinnen und Anwender konkret bedeutet. Die gewonnenen Erkenntnisse mündeten in einer Change Story. Sie erläuterte, wie das Zielbild für die Umstellung aussah, warum die Veränderung notwendig war, und wie sie umgesetzt werden sollte. Im Vordergrund standen die Vorteile für den einzelnen Anwender. Dazu gehörten zum Beispiel: die Reduktion manueller Aufwände, keine Verwirrung mehr aufgrund unterschiedlicher Datenquellen sowie die Umsetzung der gewünschten Funktionalitäten.

Change Agents als Sprachrohr in beide Richtungen

Auf Basis der Analyseergebnisse plante, koordinierte und überwachte das CMO die Change-Maßnahmen für NexGen ERP. Um die Reichweite zu erhöhen, wurden außerdem Führungskräfte eingebunden, die ihre jeweilige Organisation während der gesamten Laufzeit begleiteten, sowie Koordinatoren für die unterschiedlichen Geschäftsbereiche und Regionen.

Die vielleicht wichtigste Arbeit fiel aber den sogenannten Change Agents zu, einer Gruppe von weltweit rund 400 Mitarbeitenden, die nominiert wurden, da sie zum großen Teil selbst SAP-Nutzer und gut in ihrer Organisation vernetzt sind. Sie kannten am besten die Anliegen und Bedürfnisse der jeweiligen Zielgruppe und konnten daher sehr persönlich und zielgerichtet Informationen und Unterstützung bieten.  

Die Change Agents erfüllten im NexGen-ERP-Programm zwei wichtige Aufgaben. Zum einen waren sie Multiplikatoren für alle Informationen rund um das Projekt. Dazu informierte das CMO sie alle zwei Wochen über den aktuellen Stand, anstehende Ereignisse und spezifische Änderungen. Diese Informationen gaben sie in der Organisation weiter, nachdem sie sie teilweise sogar in die Landessprache übersetzt hatten.

Zum anderen fungierten sie im Rahmen des Programms als Feedback-Kanal für die Endnutzer, die so Bedenken, Fragen oder sonstige Anmerkungen adressieren konnten. Die Change Agents waren damit ein wichtiges Sprachrohr in beide Richtungen. Auch nach Abschluss der S/4HANA-Umstellung wird das Change-Agent-Netzwerk weiterhin für den aktiven Austausch von Änderungen im ERP-Umfeld genutzt.

Kommunikation hat viele Gesichter

Eine der Hauptaufgaben des CMO war die Kommunikation – sowohl innerhalb des Programms als auch zu den Change Agents und den Endanwendern. Aufgrund der Corona-Pandemie mussten viele Kommunikationsmaßnahmen auf ein virtuelles Format umgestellt werden. Angefangen mit virtuellen Roadshows in den einzelnen Regionen bis hin zu einer fulminanten virtuellen Go-Live-Party, um den Erfolg der Umstellung zu würdigen, wurden viele kreative Veränderungskampagnen umgesetzt.

Zum Einsatz kamen unterschiedliche Formate wie Poster, Präsentationen, Newsletter und Intranet- Artikel, Videos und Magazinbeiträge. Und auch Anreize wie eine Tester-Lotterie oder sogar ein von der Programmleitung und dem CMO eingesungenes Lied wurden genutzt.

Je näher der Umstellungstermin am 24. Mai 2021 rückte, desto höher war der Informationsbedarf …

… sowohl der Endanwender als auch der Beteiligten innerhalb des Programms. Rund 1.200 Prozess-Experten und Anwender mussten Hand in Hand das neue IT-System vor der Umstellung umfassend testen. Es galt, sie darauf intensiv vorzubereiten und den strukturierten Austausch über die Testergebnisse unter den erschwerten Bedingungen der Corona-Pandemie durch regelmäßige virtuelle Meetings zu organisieren und zu unterstützen. Eine ausreichend lange Nachbegleitungsphase gab den Anwenderinnen und Anwendern zudem die Möglichkeit, Fragen und Probleme zu adressieren, die sich erst in der täglichen Nutzung nach der Umstellung ergaben.

Auch externe Geschäftspartner wie Kunden und Lieferanten wurden aktiv informiert, um gemeinsam mit ihrem Ansprechpartner bei Evonik für mögliche Ausfallzeiten alle notwendigen Vorbereitungen treffen zu können – zum Beispiel der rechtzeitige Abschluss von Bestellungen, Ausdrucke für die manuelle Arbeit, zeitliche Planung von Lieferungen. Dies war wichtig, um den laufenden Geschäftsbetrieb so wenig wie möglich zu beeinträchtigen.

Trainings auf den jeweiligen Bedarf zugeschnitten

Bei einem Projekt dieser Größe und 15.000 betroffenen Anwendern müssen die unterschiedlichen Anwendergruppen rechtzeitig – und zugeschnitten auf ihren jeweiligen Bedarf – geschult werden. Im Vordergrund standen drei Fragen:

  • Was ändert sich für die individuellen Anwender und Anwenderinnen in ihrer täglichen Arbeit?
  • Welche neuen Funktionen stehen ihnen zur Verfügung?
  • Wie können sie sie nutzen?

In enger Zusammenarbeit mit den fachlichen Ansprechpartnern im Projekt wurden der Trainingsbedarf analysiert, Trainingsinhalte und Schulungsformate zielgruppengerecht definiert und Trainingsmaterialien erstellt. Parallel wurden die Evonik-internen Trainer auf ihre Aufgabe vorbereitet. In „Train-the-trainer“-Schulungen bekamen sie vermitteltet, worauf bei der Durchführung von Schulungen geachtet werden sollte. Viele Schulungen wurden als Live-Event per Microsoft Teams durchgeführt. Das Trainingsteam des NexGen-ERP-Programms übernahm dabei Moderation und Koordination und unter stützte so den Fachtrainer. Die Anmeldung zu den Trainings wurde den Endanwendern möglichst einfach gemacht: Sie wurden per E-Mail zu den für sie relevanten Trainings eingeladen und konnten sich mit einem Mausklick anmelden.

Trainingsmaterial zum Selbststudium in Deutsch, Englisch und teilweise in weiteren Sprachen ergänzte die Schulungen. In einer Trainingsbibliothek war es einfach zugänglich. Zudem wurden alle Schulungen aufgezeichnet, sodass sich die Anwenderinnen und Anwender das Training jederzeit erneut ansehen konnten. Alle diese Maßnahmen stellten sicher, dass sie über das notwendige Wissen für die Neuerungen nach der Umstellung verfügten.

Vertrauen ist gut, Veränderungscontrolling ist besser

Um die Wirkung der unterschiedlichen Change-Maßnahmen zu evaluieren und gegebenenfalls Gegenmaßnahmen anstoßen zu können, führte das NexGen-ERP-Programm eine weltweite Anwenderbefragung einen Monat vor der Umstellung durch. Zusätzlich wurden auch die Change Agents online befragt. In regelmäßigen Abständen sollten sie einschätzen, wie gut die Anwender in ihrem jeweiligen Umfeld informiert und vorbereitet waren. Die Ergebnisse wurden offen diskutiert und waren die Basis, um gemeinsam weitere Maßnahmen zu definieren. Die Abfragen trugen außerdem dazu bei, auch im Führungskreis die Notwendigkeit und den Wert von Change-Maßnahmen zu verdeutlichen. Seit Ende Mai 2021 läuft das zentrale ERP-System von Evonik mit S/4HANA. Aus technischer Sicht ist die Umstellung erfolgreich umgesetzt – und auch aus Sicht des Change Managements: Viele Rückmeldungen aus unterschiedlichen Bereichen des Unternehmens zeigen, dass die Mitarbeitenden den „Change“ gut angenommen haben. Es gab kaum Schwierigkeiten im Umgang mit dem neuen IT-System, das damit von Anfang an auf sicheren Beinen stand.

Natürlich war es nicht möglich, jeden Mitarbeitenden zu einem begeisterten Befürworter der Umstellung zu machen. Das kann und soll Change Management aber auch gar nicht leisten. Dass eine Umstellung in dieser Größenordnung aber nicht nur technisch, sondern auch mit Blick auf die beteiligten Menschen so unproblematisch abläuft, ist nicht selbstverständlich. Das zeigt, dass bei IT-Projekten mit hoher Anwenderzahl ein gutes, begleitendes Change Management sinnvoll ist.

Evonik wird auch weiterhin von dem etablierten Netzwerk aus Change Agents profitieren. Denn sie wollen ebenfalls für zukünftige Themen als Multiplikatoren tätig sein.

 

Autorin

Vali Maria Bluma hat in Kommunikations-, HR- und Operations-Excellence-Funktionen bei EnBW, E.ON Ruhrgas und Heraeus gearbeitet. Seit Februar 2017 ist sie bei Evonik und war von Juni 2019 bis Juni 2021 Change Management Office Lead im NexGen-ERP-Programm. Seit Juli dieses Jahres ist Vali Maria Bluma Transformation Office Lead bei Operations Excellence.

Der Begriff „Vorbilder“ mag veraltet erscheinen, aber ihre Rolle im Veränderungsprozess bleibt entscheidend. Vorbilder, oder auch Role Models genannt, sind essenziell, um den Wandel voranzutreiben. Im Beitrag „Role Models im Change“  wird dies thematisiert.

Altmodisch, aber wichtig

Vermutlich ist folgende Situation gar nicht so selten: Zwei Vorstandsmitglieder können sich nicht leiden, reden kaum miteinander und setzen sich auch nur an einen Tisch, wenn es unbedingt sein muss. Die offiziell ausgerufene hierarchie- und bereichsübergreifende Vernetzung im Konzern, die vorangetrieben werden soll, unterstützen die beiden Streithähne natürlich – jedoch nur in offiziellen Statements. In der Praxis sieht man nichts davon. In den unteren Hierarchien mag es die bereichsübergreifende Zusammenarbeit ab und an geben, aber die Vorstände wollen zuallererst einmal, dass der eigene Bereich die vorgegebenen Ziele erreicht. Sie nennen es Leistungskultur und setzen auf Silooptimierung – ohne es so zu nennen.
Die beiden Spitzenmanager sprechen von der immer wichtiger werdenden Vernetzung, leben sie aber selbst nicht und sind deshalb kaum glaubwürdig. Sie sind keine Vorbilder für ihre Mitarbeitenden auf den Hierarchieebenen darunter.
Es gibt sicherlich viele solcher Fälle, bei denen die Konzernspitze etwas fordert, es aber im eigenen Verhalten nicht zeigt – oder nicht zeigen kann. Man denke an den CEO, der das neue Social Intranet in den höchsten Tönen lobt und alle zum Mitmachen auffordert, jedoch selbst nur über E-Mail kommuniziert. Oder die Führungskraft, die Respekt und Wertschätzung proklamiert, jedoch beim nächsten Meeting mal wieder einen Mitarbeitenden niederbrüllt.

Ernst gemeint oder wieder nur Business-Theater?
Der Begriff „Vorbilder“ mag ein wenig aus der Mode geraten sein. Vielleicht klingt „Role Model“ etwas charmanter. So oder so braucht es diese Menschen im Change. In klassischen Organisationen heißt das immer noch vor allem, dass Führungskräfte sich ihrer Vorbildfunktion bewusst sein müssen. Mitarbeitende schauen im Wandel genau, was die Männer und Frauen weiter oben in der Hierarchie machen. Initiativen werden viele gestartet in einem Unternehmen. Erst wenn auch die Vorgesetzten das neue, gewünschte Verhalten zeigen, wissen die Mitarbeitenden, dass es ernst wird mit dem Change – oder ob es schon wieder nur Business-Theater ist.
Role Models bekräftigen nicht nur die Ernsthaftigkeit der Veränderung, sondern können ebenso die Funktion haben, anderen Mut zu machen. Das müssen natürlich nicht nur Führungskräfte sein. Mutmacher können alle sein. Sie zeigen einen Weg auf, wie es geht. Allein, das Erzählen ihrer Geschichte auf einem Blog, in einem Video kann schon für Kolleginnen und Kollegen inspirierend wirken.
Eventuell sind sogar diejenigen Vorbilder, die konkrete Hilfestellungen geben. Das Handeln der Key User, die beispielsweise die Einführung eines neuen ERP-Systems begleiten, wird von Kolleginnen und Kollegen beobachtet. Solche Key User sollten im Change Multiplikatoren sein und als Ansprechpartner für Fragen zur Verfügung stehen. Sie sind glaubwürdige Vertreter für den Wandel.
Solche Rollen bzw. Funktionen sind bei größeren Veränderungen von enormer Bedeutung. Denn die Unsicherheit ist bei vielen Mitarbeitenden meist groß. Reichen die eigenen Kompetenzen? Ist der Change sinnvoll? Gelingen die neuen Verhaltensroutinen? Ist der neue Prozess wirklich gewollt?
Es ist völlig in Ordnung, nach Unterstützung und/oder Führung Ausschau zu halten. Das hat nichts mit mangelnder Eigenverantwortung zu tun. Menschen wollen sich in der Regel weiterentwickeln. Sie wollen aber auch wissen, wohin die Reise geht und ob sich die Mühen lohnen. Manchmal braucht es nur ein bisschen Mut – und eventuell einen Schubs.
Im Leben gibt es immer wieder mal Themen, bei denen wir gerne zu anderen schauen und denken: Toll, wie er oder sie das gemacht hat, das inspiriert mich. Ich persönlich finde, dass man da auch ruhig mal von „Vorbild“ sprechen kann.
Vorbild oder Role Model ist man übrigens nicht qua Amt. Jeder und jede kann es sein – oder halt nicht. Genauso wie nicht jeder automatisch eine Führungskraft ist. Führung wird von anderen – eben denen, die geführt werden – zugeschrieben. Dasselbe gilt für Vorbilder. [JCW]

Kann man Change verkaufen, indem man bei den Mitarbeitenden in Bezug auf eine Veränderung Begehrlichkeiten weckt? Diese Frage wird im folgenden Beitrag beantwortet: „Wie überzeugt man Mitarbeitende von Change?“.