Schlagwortarchiv für: Ausgabe 05/2021

Die Zukunft der Arbeit in der neuen Normalität – mehr als nur Homeoffice

Schon seit 2018 gibt es bei Siemens eine Initiative zur Zukunft der Arbeit. Aufgrund der Corona-Pandemie ist diese Zukunft nun schneller Wirklichkeit geworden als gedacht. Mobiles Arbeiten, hybride Arbeitsmodelle, das Büro als Ort der Vernetzung: Die neue Normalität ist Alltag geworden. Ein Zurück gibt es nicht. Im Gegenteil. Nun wird in dem Technologiekonzern auch eine neue Führungskultur vorangetrieben, die auf Befähigung und ein Growth Mindset setzt.

Seit über einem Jahr ist mobiles Arbeiten für Tausende Mitarbeitende von Siemens Alltag – in Deutschland und weltweit. Auch ich arbeite seit Beginn der Pandemie im März 2020 nicht mehr in meinem Büro, sondern von zu Hause. Eine Situation, wie wir sie jetzt erleben, hatte sicher niemand von uns kommen sehen. Und Anfang vergangenen Jahres hätte auch in unserem Unternehmen
niemand die Prognose gewagt, dass die virtuelle Zusammenarbeit großer Teile der Belegschaft auf Anhieb so reibungslos funktionieren würde. Wahr aber ist: Schon lange vor dem Ausbruch der
Covid-19-Pandemie haben wir uns mit der Frage beschäftigt, wie wir in Zukunft (zusammen-)arbeiten werden. Seit 2018 untersuchen wir im Rahmen unserer #FutureOfWork-Initiative neue, zukunftsweisende Arbeitsmodelle und analysieren, wie Digitalisierung und Automatisierung unsere Tätigkeiten und Kompetenzen verändern werden. Die Pandemie hat unsere Initiative und die damit verbundenen Aktivitäten weiter vorangetrieben und gleichzeitig neue Fragen in den Mittelpunkt gerückt:

  • Welche Rolle spielt künftig noch das (physische) Büro?
  • Inwiefern braucht es eine Anwesenheitspflicht?
  • Und wie sieht gute Führung in der digitalen Welt aus?

Gleichgültig, welche Konzepte es zuvor bereits gab – Corona hat die Digitalisierungsambitionen der Wirtschaft radikal beschleunigt. Siemens ist dafür ein gutes Beispiel: Im Juli vergangenen Jahres haben wir als erstes Industrieunternehmen das mobile Arbeiten an zwei bis drei Tagen pro Woche zum Standard in der „neuen Normalität“ ausgerufen. Dieses Angebot an unsere  Beschäftigten gilt nach überstandener Pandemie, wenn der Krisenmodus vorbei ist. Das erweiterte mobile Arbeiten im hybriden Modell ist eines der Kernelemente der neuen Normalität, des New Normal Working Models, wie wir es bei Siemens nennen.

Mobiles Arbeiten als Kernelement der neuen Normalität

Ziel unseres „New Normal Working Models“ ist, die bestehenden Regelungen des mobilen Arbeitens für die Zeit nach der Pandemie weiterzuentwickeln. Mit mobilem Arbeiten meinen wir mehr als nur das reine Homeoffice. Stattdessen sollen Mitarbeitende denjenigen Arbeitsort wählen, an dem sie am produktivsten arbeiten können. Dieses neue hybride Arbeitsmodell schließt daher explizit innovative Arbeitsumgebungen wie etwa Co-Working-Spaces oder auch andere Siemens-Standorte mit ein. Wo die Arbeit verrichtet wird, ist im Grunde nicht mehr wirklich relevant.
Was zählt, sind die Ergebnisse. Unser „New Normal Working Model“ sieht vor, dass die Mitarbeitenden die Möglichkeit haben, nach der Pandemie an durchschnittlich zwei bis drei Tagen pro Woche mobil zu arbeiten. Natürlich unter der Prämisse, dass sie sich dies wünschen und es aufgrund ihrer Aufgaben und Anforderungen umsetzbar ist. Dabei ist selbstverständlich, dass mobiles Arbeiten ein freiwilliges Angebot darstellt und keinen Zwang. Wir setzen dies nicht nur lokal, sondern auch auf globaler Ebene um. Insgesamt umfasst das Konzept mehr als 140.000 Mitarbeitende von Siemens an über 125 Standorten in 43 Ländern. Dabei berücksichtigen wir immer lokale gesetzliche Anforderungen und die Vorgaben der jeweiligen Tätigkeiten.

Transformation der Unternehmens und Führungskultur

Das mobile Arbeiten ist sicherlich das greifbarste Element unseres „New Normal Working Models“, für sich allein greift es aber noch zu kurz. Damit es zum Erfolg wird, müssen wir eine  umfassende Transformation unserer Unternehmens- und Führungskultur vorantreiben. Was Unternehmen und Führungskräfte brauchen, ist ein gemeinsames Verständnis darüber, wie Mitarbeitende befähigt werden können, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln. Die Führungskraft nimmt dabei eine signifikante Rolle ein, indem sie den Teammitgliedern die Freiheit gibt, ihre Arbeit so zu gestalten, dass bestmögliche Ergebnisse für Unternehmen, Kunden und Gesellschaft erzielt werden können. Das sogenanntes Growth Mindset steht bei Siemens dabei im Zentrum. Denn nur wer offen gegenüber Veränderungen sowie neuen Arbeitsweisen ist, bleibt auch zukünftig relevant für den Arbeitsmarkt.

Wir sind überzeugt: Führung basiert auf Vertrauen, nicht auf Kontrolle. Es geht darum, Mitarbeitenden das größtmögliche Vertrauen entgegenzubringen, sodass sie ihre Aufgaben erfolgreich erledigen und eigenverantwortlich Entscheidungen treffen können. „Growth Mindset“ und „Empowerment“ – also lebenslanges Lernen vorantreiben und Mitarbeitende befähigen – das sind die beiden zentralen Eckpfeiler, auf denen unser Führungsstil basiert. Ich glaube fest daran, dass wir als Individuen immer dann bessere Entscheidungen treffen, wenn wir im Rahmen unserer  Tätigkeit eigenverantwortlich handeln können. Verantwortliches Arbeiten stärkt die persönliche Resilienz sowie die Relevanz für den internen und externen Arbeitsmarkt und dadurch die  nachhaltige Beschäftigungsfähigkeit jedes und jeder Einzelnen. Deshalb ist die Befähigung („Empowerment“) unserer Belegschaft nicht nur ein elementarer Teil des „New Normal Working Models“, sondern auch unserer #FutureOfWork-Initiative. Und schließlich setzen Befähigung und Vertrauen Geschwindigkeit und Agilität frei – wichtige Faktoren, um Leistungspotenziale zu  heben und Innovation zu stärken. Aber nicht nur das: Wir haben in der Pandemie gelernt, wie flexibel und anpassungsfähig wir sein können und in Krisen auch sein müssen. Dies nutzen wir, um die digitale Transformation proaktiv zu gestalten.

Kulturelle Weiterentwicklung als Prozess

Jeder, der sich in seinem Leben mit Kulturveränderungen beschäftigt hat, weiß, dass nachhaltiger Wandel Zeit und Geduld erfordert. Wer glaubt, ein Unternehmen mit fast 300.000  Mitarbeitenden quasi über Nacht verändern zu können, wird scheitern. Umso wichtiger ist es, allen Beschäftigten deutlich zu machen, dass die Kulturveränderung eine zentrale Priorität für das Unternehmen hat. Mit einer umfassenden Gesamtbetriebsvereinbarung, die wir erst kürzlich Anfang März mit den Arbeitnehmervertretern geschlossen haben, wurde das „New Normal Working Model“ nun auch formal besiegelt. Die Vereinbarung regelt detailliert alle Rechte, aber ebenso die Pflichten des Einzelnen im „New Normal“. Denn mobiles Arbeiten erfordert ebenfalls ein hohes Maß an Selbstdisziplin, Eigenmotivation, Organisationsfähigkeit, Selbstständigkeit und gegenseitiger Rücksichtnahme.

Vor allem für Führungskräfte hat sich der Kontext durch die Digitalisierung und nun verstärkt auch durch die Pandemie entscheidend verändert; ein neues Führungsverhalten ist gefordert. Das grundsätzliche Verständnis einer digitalen Ökonomie und das handwerkliche Beherrschen diverser Kollaborationstools sind notwendige Fähigkeiten. Führungstugenden und Werte wie Vertrauen, Empathie, Wertschätzung und Offenheit erhalten zudem eine neue Relevanz. Für eine nachhaltige Kulturveränderung haben wir bei Siemens vier Voraussetzungen definiert, die sich auch in  unseren Führungskräfteprogrammen wiederfinden. Diese beinhalten erstens das Fördern von Verständnis und Überzeugung – was sich durch das vergangene Jahr fast von allein ergeben hat. Zweitens steht die Entwicklung von Talent und Fähigkeiten im Vordergrund. Drittens ist es wichtig, eine unterstützende Umgebung zu bieten und viertens müssen Führungskräfte, beginnend  beim Vorstand, als Vorbilder fungieren. Denn nur wenn man sieht, dass die Elemente des „New Normal Working Models“ und der neuen Kultur gelebter Alltag im Management des Unternehmens sind, ist man bereit, diese auch für sich selbst anzunehmen. Bei uns ist genau das der Fall: Der gesamte Vorstand steht hinter der Idee und ihrer Umsetzung. Dies wird einmal mehr dadurch bestätigt, dass sich das „New Normal Working Model“ nahtlos in unser Konzept von der Zukunft der Arbeit (#FutureOfWork) einfügt.

Das Büro als Ort der Kreativität und des Austauschs

Mobiles Arbeiten ist fester Bestandteil im Arbeitsalltag unserer Mitarbeitenden. Offen bleibt: Welchen Wert haben Büro und Arbeitsplatz überhaupt noch? Verlieren sie an Bedeutung? Wie sollten sie in Zukunft gestaltet sein?

Wir sind davon überzeugt, dass sich die Funktion des Büros tiefgreifend wandeln wird. Künftig wird der Arbeitsplatz ein Ort sein, an dem man „aktivitätsbasiert“ arbeitet. Diese Art der Arbeit muss sich in der architektonischen Struktur des Büros wiederfinden. In Zukunft werden die Menschen auch weniger ins Büro gehen, um dort individuell und ungestört zu arbeiten, sondern  vielmehr, um mit anderen Kolleginnen und Kollegen in Kontakt zu kommen, sich auszutauschen, kreative und gemeinschaftliche Prozesse anzuschieben. In den Vordergrund rücken werden also  teamorientierte Aktivitäten, die das Büro weit stärker noch als bisher zu einem Ort der persönlichen Begegnung, des Zusammenarbeitens und des Netzwerkens machen. In Zukunft brauchen wir  offene und flexible Flächen, also Bereiche für kreative Kollaborations- und Projektarbeit, Räume für konzentriertes Arbeiten und auch Erholungszonen.

Hybride Arbeitsmodelle geben Raum zur  Entfaltung

Mit unserem bestehenden Bürokonzept haben wir hierfür bereits an vielen unserer Standorte eine solide Grundlage. Denn bereits in den vergangenen Jahren hat Siemens weltweit für  über 80.000 Mitarbeitende neue Arbeitswelten und innovative Formen der Zusammenarbeit eingeführt. Diese werden weniger durch feste Vorgaben als vielmehr durch einen Leitfaden, der sich auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der jeweiligen Standorte und Geschäftseinheiten zuschneiden lässt, umgesetzt. Hieran knüpfen wir an und werden – wann immer erforderlich – unsere  Bürowelt an die veränderten Bedürfnisse im „New Normal“ anpassen. Erste Pilotprojekte zur Gestaltung des Büros der Zukunft laufen bereits. Die Covid-19-Pandemie wird enden, doch die Neuerungen in unserer Arbeitswelt werden bleiben und uns weiterhin begleiten. Wir haben sehr frühzeitig tiefgreifende Entscheidungen getroffen, wie wir die neue Normalität im Alltag der  Mitarbeitenden umsetzen wollen. Die Vorteile liegen auf der Hand – für die Beschäftigten und für Siemens. Wie eine aktuelle Studie von Boston Consulting Group, Stepstone und The Network  zeigt, wünschen sich 81 Prozent der deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, auch in Zukunft hybrid zu arbeiten. Unsere betriebsinternen und internationalen Umfragen bestätigen dies. Mit dem „New Normal Working Model“ kommen wir genau diesem Wunsch nach. Zugleich schärfen wir mit dem Bekenntnis zum mobilen Arbeiten unser Profil in einem sich zuspitzenden Kampf um die besten Talente am Markt. Und nicht nur das: Mit dem „New Normal Working Model“ setzen wir einen weiteren Meilenstein für die Zukunft der Arbeit und ihre proaktive Ausgestaltung. Denn als Unternehmen müssen wir Orientierung geben und Rahmenbedingungen schaffen, damit sich unsere Mitarbeitenden am Arbeitsort ihrer Wahl voll entfalten können.

Autor:

Dr. Jochen Wallisch ist seit November 2016 Executive Vice President HR, Industrial Relations & Employment Conditions bei der Siemens AG in München. Außerdem ist er seit Februar diesen  Jahres für die globale Ausbildung der Siemens AG (Siemens Professional Education) verantwortlich. Bevor Jochen Wallisch zu Siemens wechselte, war er unter anderem Geschäftsführer der Lufthansa-Tochter Eurowings.

Wie der Wandel zur anpassungsfähigen Organisation gelingt

Veränderung als stetige Aufgabe beschäftigt die Mehrheit der Unternehmen. Viele sind auf der Suche nach innovativen Organisationsformen, die vor allem ein Höchstmaß an Flexibilität ermöglichen – einer der wichtigsten Faktoren, um langfristig erfolgreich sein zu können. Es geht aber nicht nur um schnelles Reagieren, sondern auch um das proaktive Vorausschauen und Gestalten sowie das Neudenken aller Dimensionen eines Unternehmens. Es geht um die Schaffung einer Super-Responsive-Organisation.

Die Veränderungsfrequenz hat sich durch technologische Disruption und zunehmende Digitalisierung noch weiter beschleunigt. Das Marktumfeld ist nochmals globalisierter, kompetitiver und weniger vorhersehbar geworden. Und spätestens seit Beginn der Covid-19-Pandemie ist klar: Unternehmen, die es nicht schaffen, ihre Anpassungsfähigkeit drastisch zu steigern, können ob der aktuellen Veränderungsfrequenz nicht nachhaltig bestehen. Umgekehrt zeigt sich: Organisationen, die bereits vor der Pandemie anpassungsfähig waren und Veränderungen nicht scheuten, schaffen es sogar unternehmerisch gestärkt aus der Krise hervorzugehen. Die Realität ist jedoch überwiegend ernüchternd: 50 Prozent der Unternehmen sind heute in funktionalen Silos sowie in Befehls- und Kontrolldenkweisen gefangen und verwenden dabei „Hardware“ (Strukturen) aus dem 19. Jahrhundert mit der „Software“ (Arbeitsweisen) des 21. Jahrhunderts. Das zeigt die aktuelle Deloitte-Studie „Enterprise Adaptability“.

Alle Elemente einer Organisation neu denken

Die bislang typischen, alle acht bis zehn Jahre stattfindenden Reorganisationsmaßnahmen reichen nicht, um eine Super-Responsive- Organisation (SRO) zu schaffen. Die SRO fordert und praktiziert eine Veränderungsfreudigkeit, die weit über reine Reaktionsbereitschaft hinausgeht. Es geht nicht nur um schnelles Reagieren, sondern ebenso um das proaktive Vorausschauen und Gestalten. Um dies zu erreichen, müssen alle Elemente, die eine Organisation ausmachen, in puncto Anpassungsfähigkeit und Flexibilität neu gedacht werden. Neben der Struktur gehört dazu das Ökosystem des Unternehmens, die Teams und ihre Zusammenarbeit untereinander, die Führung der Teams sowie ihrer Mitglieder und natürlich die Individuen selbst.

Ökosystem

„Das Ökosystem ist eine Struktur, die aus voneinander abhängigen Akteuren innerhalb und außerhalb der Organisation besteht, die sowohl individuelle als auch kollektive Ziele verfolgen“, heißt es in dem Artikel „The Future of Work Is Through Workforce Ecosystems“, der in diesem Jahr in der MIT Sloan Management Review erschienen ist. Bislang haben Unternehmen, um ihre Marktrelevanz und Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, vor allem aber auf sich selbst geschaut. Sie haben in unregelmäßigen Abständen den Markt gescannt und das intern vorhandene Wissen ihrer breiten Belegschaft oder ihrer externen Partner und Partnerinnen eher selten genutzt, schon gar nicht in Echtzeit. Anpassungsfähige Unternehmen vom Typ SRO hingegen bauen und nutzen ihre Ökosysteme strategisch.
Das hat einerseits den Vorteil, dass eine geschärfte Wahrnehmung von Veränderungen in der Umwelt besteht und beispielsweise rascher auf schwankende Nachfragesituationen reagiert werden kann. Andererseits ermöglicht ein strategisch genutztes Ökosystem tiefere Einblicke in die Bedürfnisse der Kunden, Allianz- und Geschäftspartner. Zudem wird der Begriff der Belegschaft deutlich weiter gefasst und schließt auch zeitweise Beschäftigte, Leih- und Drittarbeiterinnen sowie -arbeiter ein. DB Cargo geht beispielsweise mit der Initiative „Wir sind Güter“ weit voran und  bezieht in den Weg zu einer emissionsfreien Güterlogistik nicht nur Lieferanten und Vertragspartner, sondern sogar Kunden mit ein.

Organisation

Die SRO zeichnet sich durch hohe Flexibilität gegenüber externen Dynamiken wie geänderten Marktanforderungen aus. Eine solche Organisation ist in der Lage, cross-funktionale Teams ebenso schnell auf- wie abzubauen und Entscheidungen tatsächlich dort zu treffen, wo die dafür nötige Kompetenz liegt. So steht an dieser Stelle die Frage des „richtigen“ Organisationsdesigns im Raum, das die notwendige Flexibilität gewährleistet. Diesbezügliche Modelle existieren zuhauf: das Spotify-Modell, Holacracy, das Viable System Model oder auch das kollegial geführte Unternehmen sind nur einige Beispiele. Doch ist die Frage des Organisationsmodells ohnehin nur der Startpunkt für weitere ganz wesentliche Gestaltungsparameter: (globale) Jobarchitektur, Karrieremodelle, Budgetallokation, Planungszyklen und Betriebsvereinbarungen gehören hier zu den relevantesten. Von den massiven Wechselwirkungen mit der Unternehmenskultur ganz zu schweigen. Die erfolgreiche Umsetzung eines Modells in die Unternehmensrealität ist zudem stets vom Kontext abhängig. Das heißt, was für die eine Organisation funktioniert, stellt sich für die andere vielleicht als großes Missverständnis heraus.

Team

In der SRO werden die Teams zum wichtigsten Baustein, da Wertschöpfung und Kundeninteressen im Mittelpunkt aller Teamaktivitäten stehen. Damit dies gelingt, müssen zwei Dinge gewährleistet sein. Einerseits werden agile Praktiken wie regelmäßige Feedback-Schleifen, iterative Bewertungen und eine datengesteuerte Entscheidungsfindung als Katalysator für eine reibungslose und erfolgreiche Zusammenarbeit angewendet. Anderseits braucht es vielfältige Perspektiven im Team und ein ausreichendes Maß an Psychological Safety, sodass Fehler nicht zu unmittelbaren negativen Konsequenzen führen, sondern vielmehr als Möglichkeit gemeinsamen Lernens wahrgenommen werden. In der Umsetzung stellt sich rasch die Frage, wie weit flexible oder anpassungsfähigere Arbeitsweisen skaliert werden sollten und können. Ein stufenweises Vorgehen mit kritisch-konstruktiver Betrachtung, welche Teams für eine flexible Arbeitsweise geeignet sind und welche nicht, ist derzeit die häufigste Wahl. Dabei werden (noch) oftmals die dafür notwendigen Governance- und Strukturfragen wenig beachtet. Die Teams in der SRO benötigen transparente Verantwortlichkeiten und Rechenschaftspflichten, eine übergreifende Planung sowie auf die neue Arbeitsweise abgestimmte Budgetierungsprozesse. Dies kann konkret bedeuten, dass Schnittstellen zwischen den Teams besonders klar definiert werden und in der Budgetierung bewusst flexible Komponenten enthalten sind, die wie Wagniskapital eingesetzt werden können.

Führung

Um agile Entscheidungsprozesse zu fördern, muss die Organisation klare Bedingungen schaffen und die Rolle von Führung neu definieren. Dies bedeutet erstens, dass Führung auf jeder Ebene unabhängig von Hierarchie stattfindet. Dabei ist Führung eine Teamleistung und kann zum Beispiel auch als „Community Lead“ gelebt werden. Zweitens geht es bei Führung weniger um Fachexpertise oder gutes Auftragsmanagement als darum, Individuen gezielt zu verbinden und teamübergreifende Zusammenarbeit zu fördern. Letztlich bedarf es einer Toleranz gegenüber Risiken und Ambiguität, um eine Lernkultur zu schaffen. Eine Führungsrolle in der SRO übernimmt, wer als inklusive Vernetzerin bzw. als inklusiver Vernetzer agiert, sowie Fehlertoleranz und Risikobereitschaft als Erfolgsfaktoren des eigenen Tuns erachtet. In der Praxis kann dies bedeuten, dass disziplinarische und fachliche Führung getrennt und Führungsrollen auf allen Ebenen ermöglicht werden – auch als Experten. Gleichzeitig können neue Anforderungen an Führung in Entwicklungsinstrumente und Kompetenzmodelle integriert werden.

Individuum

Bei jeder Reorganisation benötigen Mitarbeitende Unterstützung, um sich in neuen Organisationsformen rasch zurechtzufinden. Das Individuum muss widerstandsfähig sein, um mit Unsicherheiten umgehen zu können, Veränderungen als neue Normalität anzunehmen und dabei stets die bestmögliche Lösung für Kunden im Blick zu behalten. Zu diesem Zweck benötigen Mitarbeitende konkrete Unterstützung, diesen Mindset-Shift zu bewältigen sowie Vielfalt und Veränderung als Chance zu begreifen.

Auf welcher Ebene beginnen?

Die SRO ist allerdings keine Blaupause und die Transformation bringt gravierende Veränderungen mit sich. Es empfiehlt sich, die Kapazität der Organisation, sich an Veränderungen anzupassen und zugleich die Leistungsfähigkeit aufrechtzuerhalten, kontinuierlich im Blick zu behalten. Eine Veränderung kann durchaus experimentell angegangen werden, indem beispielsweise auf der Teamebene die Entscheidungskompetenz sukzessive erhöht wird. So steht zu Beginn einer Transformation zur SRO die entscheidende Frage, mit welcher Ebene gestartet wird. Das kann entweder die Ebene mit dem größten Handlungsbedarf sein oder die Ebene, auf der am schnellsten Ergebnisse spürbar werden. Wichtig ist dabei die stetige Betrachtung möglicher Wechselwirkungen zwischen den Ebenen und eine kontinuierliche Anpassung des Veränderungsvorhabens. In der Praxis sind Unternehmen mit der Abwägung konfrontiert, ob eine Näherung besser über die Ablauforganisation (sprich Einführung agiler Arbeitsweisen oder digitalisierter Prozesse) oder die Aufbauorganisation (strukturelle Anpassungen) umgesetzt wird. Die mögliche zusätzliche Komplexität paralleler IT-Systemeinführungen sei an dieser Stelle ausgeklammert. Beide Wege versprechen Erfolge, jedoch gelingt eine Umsetzung auf der strukturellen Ebene als erster Schritt häufig besser. Wenn das Strukturdesign die Unternehmensstrategie abbildet, so gelingt dem Unternehmen in der Regel auch ein konsequentes Vorgehen bei der Umsetzung neuer Prozesse und Tools. Grundsätzlich jedoch gilt: Je flexibler und holistischer das Vorgehen, desto größer ist die Erfolgsaussicht auch in unsicheren Zeiten.

Autorinnen:

Maren Hauptmann ist Partnerin im Consulting bei Deloitte und leitet den Bereich Human Capital in Deutschland. Sie ist spezialisiert auf Organisationsdesign, strategisches Veränderungsmanagement sowie neue Arbeitswelten und begleitet seit mehr als 20 Jahren deutsche, europäische und globale Unternehmen bei großen Organisations- und Unternehmenstransformationen.

Tanja Waldner ist Director im Consulting bei Deloitte und leitet in Deutschland den Bereich Organization Design. Sie ist Expertin für Organisationsveränderung und die Entwicklung agiler Organisationen. Sie begeistert sich vor allem für das
Design zukunftsfähiger Organisationen, die Initiierung von Verhaltensänderungen und das Moderieren von hochwirksamen Workshops zum Leadership Alignment.

Als Adel Al-Saleh 2018 als CEO zu T-Systems kam, galt das Unternehmen als das Sorgenkind der Deutschen Telekom. Nach einigen Umstrukturierungen und harten Entscheidungen ging es zuletzt wieder aufwärts. Im Interview „Kulturelle Transformation bei T-Systems“ spricht er über die Gründe für die Restrukturierung, sein Verständnis eines Change Leaders und seine Begeisterung, den kulturellen Wandel mit den Mitarbeitern gemeinsam voranzutreiben.

Endlich glücklich und erfolgreich

Was braucht es, um erfolgreich zu sein? Diese Frage ist regelmäßig Gegenstand von Diskussionen und fasziniert viele immer wieder aufs Neue – meistens diejenigen, die noch nicht erfolgreich sind, es aber gerne wären. Um die Definition von Erfolg will ich mich hier mal herumdrücken. Um es nicht zu komplex zu machen, denken wir der Einfachheit halber an Personen wie Elon Musk, Tom Cruise, Taylor Swift, Angela Merkel oder Managerinnen in Deutschland wie Tina Müller, Sigrid Nikutta und Belén Garijo. Alle diese Menschen sind auf irgendeine Art erfolgreich, aber warum sie und andere nicht? Was zeichnet sie aus? Zu dieser Frage bin ich kürzlich über ein schon etwas älteres Ted Talk-Video gestolpert: Der Analytiker Richard St. John berichtet darin über „die acht Geheimnisse von Erfolg“, die er auf Basis von 500 Interviews mit erfolgreichen Menschen zusammengetragen hat. So richtig geheimnisvoll sind die Erfolgsfaktoren ehrlicherweise nicht. Beispielsweise gehören dazu: Leidenschaft für etwas zu haben, harte Arbeit, Beharrlichkeit sowie sich ein Tätigkeitsfeld auszusuchen, in dem man wirklich gut ist. Besonders interessant fand ich allerdings einen weiteren Punkt: Fokus. Erfolgreiche Menschen sind in der Lage, sich immer wieder auf eine Sache zu konzentrieren und sich nicht zu verzetteln.

Auch bei agilen Methoden ist Fokus wichtig

Fokus ist meiner Meinung nach in Bezug auf vieles im Leben wichtig – auch bei Veränderungsvorhaben. Ich beobachte, dass es bei Change- und Transformationsprojekten in Unternehmen häufig genau daran mangelt. Vor lauter Veränderungseuphorie und mit Druck eines ideenreichen CEOs nimmt man sich zu viel vor, will gleich alles auf den Kopf stellen, statt Schritt für Schritt vorzugehen. Da hat das eine Change-Team die Verantwortung für die Einführung eines neuen IT-Systems, die Veränderung der Vertriebsstruktur und der Führungskultur, soll irgendwas mit New Work machen und manches mehr. Am Ende gelingt es vielleicht irgendwie, aber nichts davon wird von den Mitarbeitenden wirklich gelebt, weil man einer nachhaltigen Umsetzung nicht genug Zeit widmen konnte. Auch in meiner eigenen Arbeit merke ich, wie wichtig es ist, sich zu fokussieren. Wir sind nicht für Multitasking geschaffen. Wenn ich etwas mache, dann konzentriere ich mich nur darauf, beantworte nicht noch gleichzeitig Mails alle 15 Minuten und wechsle nach zehn Minuten zu einer anderen Aufgabe. An agilen Methoden und Frameworks kann man übrigens die immense Bedeutung von Fokus bei der Arbeit erkennen. So ist zum Beispiel Work in Progress (WIP) ein wesentliches Element von Kanban. Dadurch wird die Arbeit im System begrenzt und die Durchlaufzeit der Aufgaben niedrig gehalten. Auch im Scrum gibt es diese Begrenzung. Das Team schätzt nämlich für jeden Sprint ab, wie viel es schaffen kann. Im Design Thinking fokussiert man sich auf die Menschen und ihre Bedürfnisse. Und im Laufe des Prozesses wird erst einmal nur ein bestimmtes Problem der Nutzer und Nutzerinnen gelöst – und nicht eben drei parallel. Sich zu fokussieren, heißt nicht, weniger zu arbeiten, sondern nur anders. Diese Andersartigkeit zur traditionellen Arbeit zeigt sich zum Beispiel gut anhand von Hackathons: Innerhalb von wenigen Stunden oder Tagen soll ein nutzbarer Programmcode entstehen oder eben eine Produktlösung entwickelt werden. Man konzentriert sich auf die Bearbeitung einer Sache – und das gerne auch die ganze Nacht mithilfe von Mategetränken.
Fokus ist eine gute Idee für so ziemlich alles, auch wenn es um die Vereinbarkeit von Job und Familie geht. Wer schon mal mit einem 3-Jährigen auf dem Schoß versucht hat, Arbeitsmails zu beantworten, weiß, dass der Versuch, gleichzeitig Kinder zu betreuen und zufriedene Arbeitsergebnisse zu erzielen, ein Ding der Unmöglichkeit ist. Auch hier gilt: Fokus. Entweder ich arbeite oder ich widme mich ganz meinem Kind. Alles andere macht unglücklich. [JCW]

Zentrale Einheit, aber nah am Business

Welche Strukturen braucht ein Unternehmen, um die digitale Transformation voranzutreiben? Lanxess hat sich für eine eigenständige Digitaleinheit im Konzern entschieden, die als Impulsgeber und Innovationstreiber agiert. Mit diesem Ansatz liegt das Chemieunternehmen allerdings nicht im Trend. Die Mehrheit der Unternehmen hat die digitale Transformation mittlerweile dezentral organisiert. Das zeigt eine aktuelle Studie.

Aller guten Dinge sind drei. Eine Floskel – wenn ich aber heute auf die vergangenen vier Jahre zurückschaue, in der es unsere Digitaleinheit bei Lanxess gibt, waren es drei Glaubenssätze, die uns erfolgreich gemacht haben:

1 Es gibt keine Digitalstrategie. Es gibt nur eine Geschäftsstrategie; daher sind wir eine eigenständige, agil operierende Einheit, die dort ist, wo die Musik spielt und das „Business“ gemacht wird.

2 Wir brauchen Technologiekompetenz. Daher knüpfen wir Partnerschaften mit Technologieunternehmen und bauen gleichzeitig eigenes Technologie-Know-how auf, das wir mit unserer Chemieexpertise verknüpfen.

3 Top-down-Mandate reichen nicht. Wir brauchen darüber hinaus eine Bewegung, die die Digitalthemen vorantreibt. Daher bauen wir eine entsprechende Community, die wir inhaltlich und kreativ anspitzen.

Diese drei Überzeugungen waren und sind Grundlage für den Aufbau unserer Digitaleinheit. Es gibt keine Digitalstrategie. Allerdings gibt es keine zentrale Digitalstrategie. Woher kommt dieser Gedanke? Treiber und Leiter der neuen Digitaleinheit war im März 2017 unser heutiger Chief Digital Officer (CDO), Jörg Hellwig. Bis zu diesem Zeitpunkt war er Leiter einer der größten Geschäftsbereiche. Er brachte zwei Personen mit: den damaligen Leiter der Region „Asien Pazifik“, verantwortlich für das gesamte dortige Geschäft, und mich selbst, verantwortlich für die Strategieentwicklung global. Wir alle kamen somit aus dem operativen Geschäft, von dort wo die Musik spielt, wo produziert und verkauft wird. Unser CDO war geprägt von der Verantwortung und dem Wissen über die täglichen Herausforderungen im Geschäft und der Notwendigkeit nach einer kundenzentrierten Ausrichtung. Als er damals den Auftrag bekam, Lanxess zu digitalisieren, wusste er, dass dies nur gelingen wird, wenn wir die Geschäftsbereiche gewinnen und wenn wir die Pain Points, die es dort gibt, adressieren – in der Produktion, in der Logistik, in der Interaktion mit den Kunden. Diese Nähe zum Geschäft steckt in seinen Wurzeln und so auch in unserer Digitaleinheit.

Gleichzeitig sollte es eine schnelle Einheit sein. Wir brauchten Tempo und wollten möglichst agil und flexibel in unseren Projekten arbeiten, um einerseits die Bedarfe unserer Zielgruppen – der Abteilungen bei Lanxess – zu erfüllen, andererseits schnell erste Prototypen und Ergebnisse vorweisen zu können. Die Verknüpfung beider Aspekte war Grundlage für eine eigenständige Einheit, die in der Konzernorganisation verankert ist sowie als Impulsgeber und Innovationstreiber agiert. Dafür brauchten wir kurze Entscheidungswege, cross-funktionale Zusammenarbeit, neue Methoden für Kommunikation und Führung sowie insbesondere ein diverses Team mit einer Vielzahl von Kompetenzen – vor allem von Entwicklern, Strategen, Kommunikations-, Kultur- Learning und Data Analytics-Experten und -Expertinnen.

Die Verantwortung geht in die Abteilungen

Ist unser Ansatz richtig oder falsch? Wie machen es andere? Das wollte Lanxess in einer gemeinsamen Studie mit dem Handelsblatt Research Institute herausfinden. Kern der Studie waren die Kommunikation und Aktivierung sowie die Frage nach der organisatorischen Verankerung von Digitalisierung. Laut den Ergebnissen der Studie folgen wir mit unserem Vorgehen nicht dem Trend. Nur in wenigen Unternehmen ist die Zuständigkeit für die digitale Transformation (noch) in einer eigenständigen, zentralen Einheit gebündelt, die in manchen Fällen durch einen CDO geleitet wird. Bei der Mehrheit der befragten Unternehmen ist die digitale Transformation hingegen dezentral organisiert. Hier sind die jeweiligen Fachabteilungen autark für die Transformation in ihrem Bereich zuständig. Und der Trend geht eindeutig in diese Richtung. Die Geschwindigkeit der Verantwortungsverlagerung von der Transformations-Unit zurück in die einzelnen Abteilungen ist dabei unabhängig vom Stand der digitalen Transformation (siehe Abbildung). Wir sind mit der Digitalisierung recht weit fortgeschritten. Digitalisierung findet heute in vielen Teilbereichen unserer Organisation statt.
Dennoch halten wir an der eigenständigen Struktur fest und konzentrieren uns auf neue strategische Entwicklungsthemen. Aktuell fokussieren wir uns auf das Thema Daten. Lanxess wird sich zu einem Unternehmen entwickeln, dass durch die Verknüpfung von Informationen Geschäftsentscheidungen noch datengetriebener und fundierter treffen kann. Um dorthin zu kommen, brauchte es eine Lernkurve durch neue Technologien, die wir dank eines sehr guten Partnernetzwerks erwerben konnten.

Der Turbo: Technologiekompetenz

Natürlich haben wir als Chemieunternehmen in der Produktion, in der Forschung oder im Marketing immer schon intensiv mit Daten gearbeitet. Aber für die „neue digitale Welt“ mit ihren Technologien wie Big Data, Künstliche Intelligenz, Cloud-Technologien oder Blockchain hatten wir bei Lanxess nur wenig Kompetenz. Hier gab es Bedarf. Das Eingeständnis, dass wir nicht alles wissen und für alles schon die richtigen Leute im Unternehmen haben, war ein fundamentaler Schritt, der banal klingt, aber für das Selbstverständnis vieler Organisationen nicht einfach ist. Auch für uns war das neu. Ein Ökosystem mit Technologiepartnern, die in ihrem jeweiligen Technologiefeld zu den Besten gehören, war integraler Bestandteil im Aufbau unserer Digitaleinheit. Sie sollten die Expertise, die wir in der Chemie, im Engineering oder im Marketing haben, komplementieren. Das heißt, wir haben uns Partner wie Citrine Informatics, DocuSign, TrendMiner, Siemens oder Microsoft an die Seite geholt, sind mit ihnen und mit den Experten aus unserer eigenen Organisation in die Projekte gegangen und konnten so unheimlich schnell Fahrt aufnehmen. Gleichzeitig haben wir selbst von den Partnern gelernt. Wir haben verstanden, welche Kompetenzen wir benötigen, haben mittlerweile mehr als 15 eigene Datenexpertinnen und Datenexperten. Wir können stolz auf unsere Lernkurve sein. Die Ergebnisse der Studie zeigen zu diesem Punkt durchaus ein diverses Bild. Keines der befragten Unternehmen verzichtet auf externe Unterstützung bei der digitalen Transformation. Die Palette der genannten Partner, Berater und Helfer ist groß. Verbände, Universitäten und Forschungseinrichtungen beispielsweise helfen bei der Produktentwicklung oder stellen Daten bereit. Internet- und Technologie-Konzerne wie Amazon, Google, IBM und Alibaba sowie Software-Unternehmen wie SAP oder Microsoft bieten sich als Technologiepartner an. Manche Unternehmen suchen darüber hinaus zur Weiterentwicklung ihres Produktportfolios gezielt die Zusammenarbeit mit Start-ups. Werden die Aussagen zu den Partnerschaften mit dem jeweiligen Stand der digitalen Transformation gemeinsam betrachtet, zeigt sich ein gewisses Muster. So hängt die Wahl der Partner in gewisser Weise vom Transformationsfortschritt ab. Unternehmen mit Nachholbedarf arbeiten im stärkeren Maße mit Beratungen zusammen. Gerade zu Beginn scheint die Hilfe dieser externen Profis wichtig, um Prozesse zu beschleunigen. Bei Unternehmen, die mit der digitalen Transformation bereits weiter vorangeschritten sind, dominieren dagegen Partnerschaften mit Technologieunternehmen und Start-ups.

Vom Verstehen zum Handeln: die Bewegung

Wir waren und sind überzeugt: Nur wenn wir die Menschen in den Mittelpunkt der Transformation stellen, können wir unsere Organisation vom Verstehen ins Handeln bringen. Denn eine Technologie ist nichts, wenn sie nicht genutzt wird und Daten sind erst einmal auch nur Einsen und Nullen. Erst der Mensch macht Daten wertvoll und erweckt Technologien zum Leben. Die Studie zeigt ebenfalls, dass die digitale Transformation in erster Linie „Kopfsache“ ist und bleibt. Wie aktiviert man Menschen also für die Transformation? Welche Rolle hat der CEO? Wie schaffen wir eine Bewegung, in der unsere Mitarbeitenden ins eigenständige Handeln kommen? Es braucht beides: eine starke Sichtbarkeit des CEO mit klaren Botschaften und eine Bewegung aus der Organisation heraus. Hierzu haben wir uns für einen aktivierenden Community-Ansatz entschieden und die sogenannte Digital Driver Community gegründet. Ihre Aufgabe: als Multiplikator agieren, relevante Ideen in den eigenen Geschäftsbereichen entwickeln, Vernetzung und Wissenstransfer sicherstellen. Aus allen Bereichen weltweit durften Menschen mitmachen. Die Community ist flexibel und wächst seit vier Jahren. Für uns ist die Community der verlängerte Arm in die Organisation.
Die „Digital Driver“ bekommen mehr Einblicke in unsere Projekte, sind an vielen Stellen persönlich eingebunden und wir bieten ihnen gezielte Weiterbildungsmöglichkeiten an. Sie lernen zu neuen Technologien oder erleben neue Methoden, zum Beispiel für die bessere Zusammenarbeit im Team oder für die eigene Moderation von Workshops. Das hat bisher gut geklappt und ich würde es jedem empfehlen, der nachhaltig etwas bewirken möchte. In der Studie wird deutlich, dass nur einige wenige Unternehmen gezielt in Communitys investieren. Was die besondere Rolle des CEO betrifft, zeigt die Studie, dass zwar nicht in allen Unternehmen die schlussendliche Verantwortung für die digitale Transformation beim CEO liegt, er oder sie aber durchaus eine wichtige Rolle als Leitfigur für die Digitalisierung hat. In jedem Fall scheint die Vorbildfunktion des CEO noch ausbaufähig. Gerade mal bei der Hälfte der interviewten Unternehmen ist der CEO ein aktiver Nutzer der neuen Möglichkeiten und Technologien. Eine nur wenig ausgeprägte Funktion als Role Model kann dem Streben nach einer größeren Bereitschaft und Offenheit bei den Mitarbeitenden, sich auf die neuen digitalen Möglichkeiten einzulassen, allerdings entgegenwirken. Aber selbst, wenn ein CEO diese Rolle einnimmt, muss die digitale Transformation den Beschäftigten auch vermittelt werden. Hierzu zeigte sich in den Befragungen jedoch, dass der CEO nur in 10 der 18 befragten Unternehmen als „Hauptkommunikator“ bei der Transformationskommunikation fungiert.

Blaupause – ja oder nein?

Der von uns verfolgte Ansatz ist in weiten Teilen intuitiv entstanden und basierte auf den oben beschriebenen drei Glaubenssätzen. Vieles hat sich Stück für Stück entwickelt und getreu dem Motto: Zwei Schritte nach vorn, ein Schritt zurück. Wir waren durchaus überrascht, festzustellen, dass viele Organisationen einen ganz anderen Weg gegangen sind. Klar ist: Bei der Frage nach der wirksamen Organisation von Kommunikation im Transformationskontext gibt es kein Richtig oder Falsch. Vielmehr gibt es individuell passende und unpassende Ansätze – je nachdem, welche Ziele und Erwartungen man an die Digitaleinheit und deren Aktivierung hat. Unsere Studie soll aber einen wichtigen Impuls zum gemeinsamen Austausch geben, für den Dialog zu Erfolgsmustern und zu möglichen Verbesserungen sowie dazu, was Unternehmen, die diese Themen vorantreiben, voneinander lernen können.

Wie wird die digitale Transformation organisiert?

Wie ist der Stand der digitalen Transformation? Wie ist digitale Transformation organisiert? Welche Rolle spielt die interne Kommunikation? Oder welche Rolle hat der CEO in der Kommunikation? Das Handelsblatt Research Institute hat dafür im Auftrag von Lanxess mit Experten und Expertinnen für die digitale Transformation und die interne Kommunikation in 18 deutschen Industrieunternehmen Tiefeninterviews geführt. Die Ergebnisse der Interviews wurden anonymisiert im Rahmen einer Analyse ausgewertet und ermöglichen einen Blick auf die Art und Weise, wie Digitaleinheiten aufgebaut sind und Unternehmen die interne Kommunikation zur Begleitung des eigenen Transformationsprozesses einsetzen. Die interviewten Experten und Expertinnen kommen aus großen, international tätigen Unternehmen verschiedener Branchen des verarbeitenden Gewerbes. Die Ergebnisse findet ihr hier: research.handelsblatt.com

Autorin:

Eva Degener ist als Vice President Digital Transformation bei Lanxess tätig. Sie ist dort für den Bereich „Aktivierung & Enablement“ verantwortlich und begleitet seit April 2017 mit einem kleinen Team und einer erweiterten Digital Community den gesamten Change-Prozess global. Dabei berichtet sie direkt an den Chief Digital Officer.