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Mal ehrlich, Jan Foelsing!

Für die einen Allheilmittel, für die anderen völlig überbewertet: Tools und Methoden im Change. Wir fühlen Praktikern und Expertinnen auf den Zahn und wollen ihre Sicht der Dinge sowie einige Tipps erfahren. Diesmal fragen wir den Lernexperten Jan Foelsing.

Mal ehrlich, Tools und Methoden werden im Rahmen von Veränderungen überschätzt! Richtig?

Wie hat es die Hip-Hop-Band Fettes Brot einmal gesungen: „Ja, nein, vielleicht, ich mein’ jein.“

Ein Tool ist ein Tool ist ein Tool. Sie können sicherlich dabei helfen, sich sinnvolle Verhaltensmuster bzw. Abläufe anzugewöhnen. Zudem können sie Orientierung bieten und in einem sich immer schneller wandelnden Kontext dabei helfen, in eine Handlung zu kommen.

Tools und Methoden können aber genauso dazu führen, dass diese einfach „stur“ abgearbeitet werden oder von einigen als „Allheilsbringer“ für die Lösung aller Probleme „eingeführt“ werden, wie dies teilweise bei Design Thinking, Scrum oder Working Out Loud passiert. Oftmals wird so versucht, ein Problem zu lösen, ohne sich mit dessen Ursachen zu beschäftigen. Davon möchte ich dringend abraten.

Mit welcher Methode können Mitarbeitende die neuen Lern- und Arbeitswelten am besten aktiv erkunden?

Die mit Abstand beste Methode und im Prinzip der Geheimtipp überhaupt, den ich geben kann, ist ziemlich unspektakulär und lautet: Neugier „in Action“. Die eine Methode gibt es hierbei nicht.

Wenn es konkreter sein soll, würde ich – mit  der Pistole auf der Brust – eine Kombination aus einem Barcamp und einem begleitenden Learning Circle als hilfreich empfinden, um die neue Lernund Arbeitswelt zu erkunden. Die Learning Circles können dabei beispielsweise durch Learning Out Loud, LernOS oder den Iterative Learning Cycle unterstützt werden.

Man lernt ja doch hin und wieder die ein oder andere neue Methode oder einen neuen Ansatz in Bezug auf Organisationsentwicklung kennen. Wann hatten Sie diesbezüglich das letzte Mal ein Aha-Erlebnis?

Daran kann ich mich tatsächlich noch ganz klar erinnern, da es meine Sichtweise auf Komplexität stark erweitert hat. Es war auf dem „Metaforum 2019“ in Italien, wo ich das Warm Data Lab kennengelernt habe. Dabei handelt es sich um eine Großgruppenmethode, ähnlich einem Open Space, bei der Komplexität explizit zugelassen wird, was diese „erfahrbar“ macht. Dazu passt der Satz von Wolf Lotter gut: „Die alte Welt wollte Komplexität immer reduzieren. Die neue erschließt sie.“

Change-Methodeninfo Warm Data Lab

Normalerweise gehen wir ja bei der Lösungsfindung sehr direkt und linear vor. Oftmals heißt es: „Das ist das Problem, was wir durch das Sammeln von Daten verifiziert haben.“ Daraufhin werden dann eine Lösung und Maßnahmen definiert. Das ist in komplexen Kontexten aber nicht mehr hinreichend, da Lösungen für komplexe Probleme oftmals zwischen multiplen Kontexten und deren Interdependenzen liegen.

Immer öfter werden jedoch punktuell gemessene und interpretierte Daten (Cold Data) zur Lösungsfindung herangezogen. Genau wie mit dem Zitat von Wolf Lotter ausgedrückt, wird es jedoch in Zukunft wichtiger werden, auch die Zusammenhänge zwischen multiplen Kontexten besser zu erschließen, wofür sich ein Warm Data Lab sehr gut nutzen lässt.

Für mich persönlich war die Erfahrung beim „Metaforum 2019“ so wertvoll, weil ich klar erkannt habe, wie eine Fragestellung durch multiple Kontexte wie zum Beispiel Familie, Politik, Wirtschaft und Technologie beeinflusst wird bzw. wie die Kontexte sich wechselseitig beeinflussen. Ein absoluter Aha-Moment für mich.

Bei der Anwendung welcher Methode waren Sie zuletzt ganz besonders wirksam?

Ergebnisse, die ich als besonders wertvoll empfand, entstanden oftmals bei der Anwendung von Lego Serious Play – insbesondere im Rahmen der Entwicklung einer Lernstrategie bzw. einem strategischen Zielbild des Lernens. Vor allem in Kombination mit der Starfish-Methode kann daraus eine wirkungsstarke Aufbruchsenergie entstehen.

Welche Rolle spielt Lernen im Rahmen von Transformationen?

Lernen stellt das Fundament einer erfolgreichen Transformation dar.

Diese bedingt für viele von uns ein kleines bis großes Up- oder Reskilling – und das in so vielen Bereichen, dass ohne einen konkreten Fokus auf Lernen in der Organisation wenige Transformationsbemühungen erfolgreich sein werden. Die gegenwärtigen Strömungen in den Märkten verändern die Art und Weise wie wir „Business machen“ von Grund auf. Und wer nicht begreifen will, dass eine wirkungsvolle Lernkultur unabdingbar ist, um diese Herausforderungen zu meistern, den wird der Markt eines Besseren belehren.

Welche Methode können Sie eigentlich empfehlen, um lang etablierte Verhaltensroutinen zu durchbrechen?

Dies kommt stark auf die Zielgruppe und den Kontext an. Interessant finde ich eine Art Gallery Walk in Bezug auf die eigene Arbeit durch die Zielgruppe erstellen zu lassen. Manchmal muss man nur einmal darauf schauen, was sich in den vergangenen 10 bis 20 Jahren beispielsweise bezüglich des eigenen Jobs bereits verändert hat. Danach könnte eine co-kreierte Zielbilderstellung hilfreich sein, um eine gemeinsame Aufbruchsenergie zu erzeugen.

Aber leider muss ich auch ganz ehrlich sagen, dass sich stark eingefahrene Verhaltensroutinen oftmals am schnellsten aufbrechen lassen, wenn der Handlungsdruck (Sense of Urgency) groß genug ist.

Und was ist ein gutes Warm-up für einen Team-Workshop?

Das hängt von der Zielgruppe ab. Grundsätzlich mag ich Methoden, die positiv in den Termin hineinstarten, etwa zur Eröffnung die Frage „Was hat dich heute zum Lächeln gebracht?“. Oder jeder bekommt eine Minute Zeit, um seine noch anstehenden „To-dos“ aufzuschreiben, damit der Kopf für das Meeting frei wird. Auch das funktioniert gut.

 

 

Autor

Jan Foelsing
ist Learning und New Work Designer. Sein Ziel ist, die wirkungsstarke Verbindung von Arbeiten mit Lernen und Innovation, eingebettet in eine sinnvolle digitale Unterstützung, voranzubringen. Gemeinsam mit Anja Schmitz veröffentlichte Jan Foelsing 2021 das Buch „New Work braucht New Learning: Eine Perspektivreise durch die Transformation unserer Organisations- und Lernwelten“ (Springer Gabler)
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Ihnen hat das Format „Tools und Methoden im Change“ gefallen? Hier finden Sie einen weiteren Beitrag dazu: „Tools und Methoden im Change“.

Im Mai 2020 stellte sich die ING die Frage, wie ihr „One Agile Way of Working“ weiterentwickelt werden muss, um dabei Markenkern, Kultur und Purpose weiter zu stärken und diese nicht nur für Kundinnen und Kunden, sondern auch für Mitarbeitende erlebbar zu machen. Entstanden ist eine neue People Strategy, die in einer veränderten Arbeitswelt Empowerment, Flexibilität und Autonomie in den Fokus rückt – und Arbeit neu denkt. Bei der ING nennt man es: Beyond WorkING.

Bereits sechs Monate nach offiziellem Abschluss der Transformation zur ersten vollständig agilen Bank Deutschlands stellte die Corona-Pandemie die neue agile Arbeitsweise der ING Deutschland auf den Prüfstand. Zu Beginn der Pandemie war Schnelligkeit und Flexibilität gefragt, um der Fürsorgepflicht für die Mitarbeitenden gerecht zu werden sowie die operative Funktionsfähigkeit der Bank sicherzustellen. Innerhalb kürzester Zeit mussten Prozesse angepasst und technisches Equipment bereitgestellt werden. Die Teams mussten ihre Zusammenarbeit ins Virtuelle verlegen. Die Pandemie erwies sich somit als Lackmustest für die agile Arbeits- und Denkweise. Die Zeit war gekommen, unter Extrembedingungen zu beweisen, dass der sogenannte „One Agile Way of Working“ die ING tatsächlich agiler gemacht hatte.

Von den Herausforderungen der Pandemie zu einer neuen Vision

Es war schnell klar, dass auf diese von Volatilität, Unsicherheit und Komplexität geprägte Situation nicht mit vorgefertigten Programmen reagiert werden konnte. Vielmehr brauchte es ein iteratives, agiles Vorgehen, um die unterschiedlichen Herausforderungen bestmöglich zu koordinieren. Nur durch kurze Frequenzen konnte schnell auf äußere und interne Rahmenbedingungen reagiert, zeitnah verschiedene Stakeholder einbezogen und Gelerntes zügig angewendet werden.

Die Corona-Pandemie hat zu tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen geführt, die sich auch auf die Arbeitswelt auswirken. Daher hat sich die ING schon im Mai 2020 die Frage gestellt, wie als Antwort auf diese Disruption der sogenannte „One Agile Way of Working“ weiterentwickelt werden muss, um dabei den Markenkern, die Unternehmenskultur und den „Purpose“ der Gesamtbank weiter zu stärken und nicht nur für die Kundinnen und Kunden, sondern auch für die Mitarbeitenden erlebbar zu machen. Entstanden ist daraus eine neue People Strategy, die sich konsequent an dem Purpose und dem (externen) Markenversprechen der Bank orientiert.

Dadurch stand fest, dass in Bezug auf die Zukunft der Arbeit bei der ING Empowerment, Autonomie und Flexibilität gefördert werden sollen:

Empowerment bedeutet dabei, dass allen Kolleginnen und Kollegen die passenden Tools zur Verfügung gestellt werden – egal wo sie arbeiten und egal ob sie Software entwickeln oder Kreditanträge bearbeiten.

Autonomie heißt in diesem Fall, dass keine starren Regeln vorgegeben werden, wie viele Tage mobil gearbeitet werden kann oder an welchen Tagen Mitarbeitende im Office anwesend sein müssen. Dem zugrunde liegt der Glaube, dass Teams diese Frage selbst beantworten können und sollen, und zwar unter Berücksichtigung der Bedürfnisse des Teams, der Verpflichtung den Kundinnen und Kunden gegenüber sowie eventueller arbeitsorganisatorischer oder regulatorischer Rahmenbedingungen.

Und Flexibilität bedeutet, dass die individuellen Bedürfnisse nach einer gesunden Work-Life-Balance der Mitarbeitenden ernst genommen werden. Denn gerade während der Pandemie wurde deutlich, dass eine gute Teamleistung darauf aufbaut, dass jeder und jede die Balance behält – und zwar beruflich, familiär, mental sowie körperlich.

Schnelle Lösungen durch agile, interdisziplinäre Zusammenarbeit

Ausgehend von diesen Überlegungen mussten folgende Fragen für das „nächste Level des Arbeitens“ – die ING nennt es „Beyond WorkING“ – beantwortet werden:

  • Welche Produkte und Angebote für die Mitarbeitenden braucht es, um den Anspruch nach Empowerment, Autonomie und Flexibilität zu erfüllen?
  • Wie kann das mit Blick auf eine komplexe Mitbestimmungslandschaft und verschiedene arbeitsrechtliche Vorgaben, die nicht unbedingt für volle Flexibilität ausgelegt sind, umgesetzt werden?
  • Wie lange wird die Pandemie andauern und wird das die Anforderungen und Erwartungshaltungen von Mitarbeitenden und Führungskräften noch einmal verändern?
  • Wie können alle Mitarbeitenden auf diesen Weg mitgenommen werden?
  • Und wie kann es gelingen, die Stimmungen innerhalb der Belegschaft zu erfassen und die Bedürfnisse in den Teams zu berücksichtigen?

Um Antworten auf diese komplexen Fragestellungen zu finden, hat die ING ein interdisziplinäres, agil arbeitendes Squad zusammengestellt.

Das im August 2020 zusammengestellte Squad besteht aus Mitarbeitenden aus den Bereichen HR, Strategy, IT, Facility Management, Internal Communications, „Way of Work-ING“ sowie den operativen Einheiten Wholesale Banking und Service. Die Aufgabe des „Beyond WorkING“-Squads war es unter anderem:

  • die rechtlichen Grundlagen für eine neue, hybride und flexible Arbeitsweise zu durchdenken,
  • die passende technische Ausstattung zu finden,
  • die Flächenplanung anzupassen
  • und vor allem alle Mitarbeitenden inklusive der Führungskräfte mitzunehmen
  • sowie eine Vereinbarung mit dem Gesamtbetriebsrat der Bank zu treffen.

Zum Zeitpunkt der Squad-Gründung hatte die agile Arbeitsweise noch keinen Eingang in die Mitbestimmungsprozesse der Bank gefunden. Diese liefen nach wie vor in gesonderten Verhandlungsrunden ab und die zuständigen Gremien waren in den agilen Arbeitsprozess nicht involviert. Das sollte sich mit „Beyond WorkING“ ändern, denn ein Arbeiten auf dem „nächsten Level“ bedeutet auch, die Zusammenarbeit mit den Gremien neu zu denken.

Die Vorteile der iterativen, agilen Herangehensweise zeigen sich insbesondere dann, wenn das Endprodukt noch nicht klar definiert ist und es zunächst mehr Fragen als Antworten gibt. Agilität und insbesondere der darin verankerte Lernansatz helfen den Beteiligten, Lösungen gemeinsam zu erarbeiten und das Zielbild Stück für Stück bzw. Sprint für Sprint zu vervollständigen.

Das Zielbild schrittweise gemeinsam erarbeiten

Das „Beyond WorkING“-Squad und der Gesamtbetriebsrat haben sich zum Start der Zusammenarbeit zunächst darüber verständigt, dass nicht ein finales „Produkt“ für das Arbeiten der Zukunft entwickelt werden soll, sondern dass es vielmehr darum geht, flexible Lösungen in einer sich ständig verändernden Welt zu erschaffen.

Anschließend wurden gemeinsam Arbeitspakete definiert und diese dann in zweiwöchigen Sprints ausgearbeitet, bevor die Ergebnisse in Verhandlungstermine überführt wurden. Mit diesem Vorgehen war es möglich, das Zielbild schrittweise gemeinsam zu erarbeiten und kreative Lösungsansätze auch für unerprobte Situationen zu schaffen.

Das Ergebnis nach knapp einem Jahr Kollaboration waren insgesamt drei Gesamtbetriebsvereinbarungen, die die Grundsätze und Leitplanken des mobilen Arbeitens und zur Flächenplanung der Bank regeln. Das Besondere daran: Es wurden „lernende“ Vereinbarungen geschaffen.

Diese werden zwölf Monate nach Inkrafttreten, also nach Ende der pandemiebedingten Einschränkungen, im Rahmen einer Retrospektive jeweils überprüft und gegebenenfalls angepasst.

Während dieser zwölfmonatigen Testphase wird die interdisziplinäre Arbeit zwischen dem Squad und dem Gesamtbetriebsrat aufrechterhalten, um flexibel und schnell auf sich verändernde Rahmenbedingungen zu reagieren und vor allem Mitarbeitenden und Führungskräften rund um „Beyond WorkING“ Hilfestellung und Orientierung zu geben.

Die Mitarbeitenden befragen und mitnehmen

Bei einem Change dieser Größenordnung darf vor allem der Faktor Mensch nicht vernachlässigt werden. Die Organisation muss sich auf die Ängste und Unsicherheiten der Mitarbeitenden und ganz besonders auch der Führungskräfte einstellen, denen eine wichtige Rolle in der „Beyond WorkING“-Transformation zukommt. Gute Führung war und ist entscheidend, um die Teams gut durch die Krise sowie die Transformation zum Erfolg zu führen.

Im Verlauf der Pandemie gab es insgesamt sechs Umfragen unter den Mitarbeitenden: drei im Jahr 2020 und ebenfalls drei im Folgejahr. Die Ergebnisse aus dem Befragungszeitraum 2020 zeigten, dass den Mitarbeitenden eine Zukunftsperspektive insbesondere im Hinblick auf ihre Arbeitsgestaltung fehlte und sie sich eine Antwort auf die Frage wünschten, welchen Stellenwert mobiles Arbeiten auch nach der Pandemie einnehmen wird.

Als weiteres Handlungsfeld konnte die Arbeitsausstattung identifiziert werden. Infolgedessen wurde die Einführung neuer Kollaborationstools mit erhöhter Geschwindigkeit vorangetrieben sowie ein individuelles Ausstattungsbudget beschlossen, das ein wesentlicher Bestandteil der ersten Gesamtbetriebsvereinbarung ist.

Darüber hinaus zeigten die Befragungsergebnisse, dass sich mit Beginn der Pandemie die Work-Life-Balance im Arbeitsalltag verändert hatte. Daraufhin wurden von HR unmittelbar Unterstützungsangebote insbesondere im Bereich Resilienz und Achtsamkeit entwickelt, mit dem Ergebnis, dass in der Befragung im November 2020 die Mitarbeitenden der Bank eine exzellente Unterstützung bescheinigten und 95 Prozent der Befragten Zuversicht äußerten, dass die ING die Corona-Krise gut managen wird.

 

Gute Führung, Wellbeing und Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Die Unterstützungsangebote durch den HR-Bereich der ING werden konsequent digital ausgerichtet und decken im Rahmen der Pandemie in erster Linie zwei Bereiche ab: Wellbeing und Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Im Bereich Wellbeing wurde Wert gelegt auf Maßnahmen, die sich leicht in den Arbeitsalltag integrieren lassen. So wurde beispielsweise der „WellbeING Useletter“ entwickelt – ein wöchentlicher Newsletter, der Impulse für mehr Bewegung, Mikropausen, Achtsamkeit und Resilienz enthält. Darüber hinaus steht jedem Mitarbeitenden der ING ein jährliches Gesundheitsbudget zur Verfügung, das individuell genutzt werden kann – beispielsweise für den eigenen Sportverein, den Fitnessclub am Wohnort, für Kochkurse oder Ernährungsseminare, aber auch für die medizinische Vorsorge.

Bei den Leistungen rund um Vereinbarkeit von Beruf und Familie konzentrierte sich HR auf die Unterstützung für Familien mit Kindern. Ziel war es, die angespannte Betreuungssituation zu erleichtern, die durch die Schließung von Betreuungseinrichtungen entstanden war.

Für die Führungskräfte fokussierte HR sich auf Qualifizierungsangebote im Bereich virtuelle bzw. hybride Führung. Das agile Führungsverständnis hat sich durch die hybride Arbeitsweise nicht verändert, jedoch müssen Führungskräfte sich darauf einstellen, dass Zusammenarbeit und Interaktion überwiegend virtuell stattfinden. Das speziell entwickelte „Leading Remotely Toolkit“ deckt vier Themenkategorien ab, die jeweils grundsätzliche Tipps und Tricks enthalten sowie auf weiterführende Quellen und spezielle Entwicklungsangebote verweisen:

  • In der ersten Kategorie „Engagement & Wellbeing“ geht es darum, in engem Kontakt zu den Mitarbeitenden zu bleiben.
  • Die zweite Kategorie konzentriert sich darauf, für alle Mitarbeitenden gleichwertige und faire Arbeitsbedingungen zu schaffen, unabhängig vom Arbeitsort.
  • Bei Output-orientierter Führung, der dritten Kategorie, geht es darum, die Leistung der Mitarbeitenden an den erzielten Ergebnissen zu bemessen, nicht an der aufgewendeten Arbeitszeit oder dem Arbeitsort.
  • Die vierte Kategorie fokussiert auf Selbstreflexion, um das Bewusstsein für den eigenen Führungsstil zu schärfen, mögliche Schwachstellen im virtuellen bzw. hybriden Setting zu identifizieren und bei Bedarf anzupassen.

Auch im Bereich Führung hat die agile Arbeitsweise sich als großer Pluspunkt im Umgang mit der Pandemie herausgestellt. Kern der agilen Arbeitsweise sind sich selbst steuernde Teams, die ihre Zusammenarbeit durch agile Routinen strukturieren. Die Führungskraft hat nicht die Aufgabe, zu kontrollieren oder Aufgaben zu verteilen, sie gibt vielmehr die Vision vor und steht im Sinne des „Servant Leadership“ als Problemlöserin oder -löser bereit. Dieses Führungsverständnis hat die Umstellung auf mobiles bzw. hybrides Arbeiten leicht gemacht.

Drei Säulen des Arbeitens und neue Herausforderungen

Die Erfahrungen der ING haben gezeigt, dass die Themenfelder Arbeit, Menschen und Organisation ganzheitlich betrachtet werden müssen. Es geht längst nicht mehr nur um „Human Resources“, sondern um die Einbeziehung der drei Säulen des neuen Arbeitens:

1 Bricks (flexible Gestaltung des Arbeitsplatzes)
2 Bytes (effektive IT-Lösungen)
3 Behaviour (HR-Programme, die das Business und die Unternehmenskultur unterstützen).

Um hierfür innovative Lösungen zu finden, sollte zum einen der Rahmen der eigenen Projektarbeit entsprechend ausgelegt sein, beispielsweise durch cross-funktionale, agile Entwicklungs-Teams. Zum anderen ist das iterative Vorgehen in einem von Veränderung und Disruption geprägten Umfeld auch für HR das Mittel der Wahl. Und bei beiden Aspekten sollte ebenfalls explizit die Mitbestimmung miteinbezogen werden. Denn das zukunftsfähige Arbeitsmodell der ING konnte nur deshalb entstehen, weil die Kolleginnen und Kollegen der Mitbestimmungsgremien sich offen und aufgeschlossen auf eine agile Zusammenarbeit mit der Arbeitgeberin eingelassen haben.

Das „nächste Level“ des Arbeitens bringt für Unternehmen allerdings weitere, neue Herausforderungen mit sich. Das „Continuous Listening-Programm“ der ING ermöglicht der Bank zwar, nah am Puls der Mitarbeitenden und der Teams zu sein, die Weiterentwicklung einer einzigartigen Unternehmenskultur ist jedoch in der hybriden Arbeitswelt ungleich komplexer. Dazu braucht es neue Interventionsformen und eine gut abgestimmte Zusammenarbeit zwischen HR, Kommunikation, der Mitbestimmung sowie anderen Schnittstellenfunktionen.

Darüber hinaus bedarf es neuer Herangehensweisen, um den Zusammenhalt hybrider Teams zu fördern und die Zugehörigkeit und emotionale Bindung zum Arbeitgeber aufrechtzuerhalten und vor allem zu stärken. Auch beim Blick auf die Förderung von Diversity und Inclusion zeichnen sich neue Themenfelder ab: Unternehmen sollten verhindern, dass sich unbeabsichtigt durch die hybride Zusammenarbeit sogenannte „In-Groups“ und „Out-Groups“ bilden.

Zwei zueinander komplementäre Arbeitssphären

Um als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben, müssen Organisationen zukünftig zwei – zueinander komplementäre – Arbeitssphären entwickeln: Auf der einen Seite müssen sie ein Regelwerk schaffen, das mobiles Arbeiten ermöglicht sowie jederzeit und überall verfügbare Kollaborationstools zur Verfügung stellen, die Kreativität fördern und ein hohes Maß an Effektivität gewährleisten.

Auf der anderen Seite: Organisationen müssen inspirierende Büros zur Verfügung stellen.

Das bedeutet, Räumlichkeiten mit einem überzeugenden Flächenkonzept anzubieten, das sämtliche Anforderungen an die Arbeit vor Ort berücksichtigt, die mobil Arbeitenden nahtlos einbezieht und den Arbeitstag im Büro zu einem Erlebnis macht.

Um diese beiden Sphären herum muss ein hybrides Arbeitsmodell entwickelt werden, das die Aspekte Kultur, Inklusion und Wellbeing mit attraktiven Ansätzen umfasst. Der externe – aber auch der interne – Arbeitsmarkt werden ein solches Modell zukünftig genauso voraussetzen wie vor der Pandemie beispielsweise ein Gleitzeitmodell.

 

changement! Heft 01/2022

 

Autoren

Dr. Sebastian Harrer
ist seit Anfang 2018 verantwortlich für HR bei der ING Deutschland. Nach dem Studium und der Promotion (unter anderem Bonn, Paris,
Sydney) war er zunächst als Berater in der Executive Education tätig. Anschließend hatte er in einem Zeitraum von zwölf Jahren verschiedene Rollen in der Bosch-Gruppe inne – sowohl im In- als auch im Ausland.
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Kathrin Lemmes
leitet seit Mitte 2020 bei der ING Deutschland den Bereich „Talent & Learning“. Nach dem Studium der Wirtschaftspsychologie sowie
des HR Managements im In- und Ausland arbeitete Kathrin Lemmes als Beraterin in einer HR-Managementberatung. 2018 wechselte sie zur ING Deutschland, zunächst in die Funktion der Business Managerin für den Head of HR.
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Kathi Heinrichs
ist Rechtsanwältin und arbeitet seit April 2020 als Senior Legal Counsel, „Labour Relations & Labour Law“, für die ING Deutschland. Zuvor war sie bei einer internationalen Wirtschaftskanzlei und einer deutschen Großbank jeweils im Bereich Arbeitsrecht tätig. Seit August 2020 betreut sie die arbeitsrechtlichen Themen rund um „Beyond WorkING“.
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Sirka Laudon über die passenden Fragen an Menschen, die Angst vor Veränderungen haben, den perfekten Arbeitstag sowie ihren Wunsch, endlich gute Handy-Videos schneiden zu können.

Was sagen Sie Menschen, die sich vor Veränderungen fürchten?

Ich würde ihnen folgende Fragen stellen: Wie hast du von dem aktuellen Status quo der jetzigen Situation profitiert? Was hat er dir gegeben, was du jetzt aufgeben müsstest und dich daran hindert, dich auf etwas Neues einzulassen? Wodurch könntest du diesen „Gewinn“ in der Zukunft sichern? Wie könntest du persönlich von dem ersehnten neuen Zielzustand profitieren? Welche Teilschritte dorthin lösen positive Veränderungsenergie bei dir aus?

Was würden Sie gerne noch lernen?

Videos mit dem Smartphone zu schneiden. Bewegtbild wird immer wichtiger – vor allem in Social Media. Hier schnell und unkompliziert einen kleinen, halbwegs professionellen Film hochzuladen wäre ein erstrebenswertes Ziel für 2022.

Wo oder wie kommen Sie auf die besten Ideen?

Ich liebe es, am Wochenende durch unbekannte Ecken in Berlin zu streifen: neue Shop-Konzepte zu entdecken oder Gastro-Trends, die aus anderen Ländern hier ankommen, kennenzulernen. Auch zum Beispiel Mode, Design und Streetart geben mir die besten Inspirationen. Trends, die man hier entdeckt, sind dann auch bald in anderen Bereichen angekommen – in Lernkonzepten, Organisationsentwicklung, Bürogestaltung, Kommunikationsformaten. Ein anregendes Arbeitsumfeld und Antworten auf die Sinnfrage sind im beruflichen Kontext genauso wichtig wie im Privaten. Deshalb verschmelzen diese Welten auch in ihrem ästhetischen Anspruch und in ihrer intellektuellen Interaktion immer mehr.

Was muss passiert sein, dass Sie von einem „perfekten Arbeitstag“ sprechen?

Die Zeit ist verflogen; ich habe viele Dinge „abgearbeitet“ und erledigt; ich hatte Termine, die mich kreativ gefordert haben; ich hatte Begegnungen mit Menschen, die mich bereichert haben; ich konnte etwas sichtbar voranbringen. Und dann wäre es noch ein Luxus, nicht komplett durch den Tag zu hetzen, sondern für manche Dinge ausreichend Zeit zur Verfügung zu haben.

Wie finden Sie Ausgleich zu Ihrem Berufsalltag?

Ich bin gern am Meer und habe das Gefühl, dass am Strand mit dem weiten Horizont und dem rhythmischen Klang der Wellen sich vieles von selbst relativiert. Dinge, die uns im Alltag beschäftigen, werden plötzlich kleiner und Lebens- und Sinnfragen werden plötzlich größer. Das rückt Dinge wieder an ihren passenden Platz, priorisiert sie neu. Solch einen Perspektivwechsel gibt es auch in „klein“: Einfach den Blick aus dem Fenster in die Weite schweifen lassen, sich an einer Tasse mit frischem Ingwertee wärmen, zwischen zwei Meetings tief durchatmen. Das wirkt sofort.

In welchen Situationen sagen Sie: „Schön, wenn es so bleibt, wie es ist“?

Wenn es mir gelingt, innezuhalten und eine dankbare Perspektive auf mein Leben zu werfen. Leider sind wir alle allzu sehr darin trainiert, Dinge noch perfekter zu machen und überall Potenziale zu entdecken, die es freizulegen gilt. Mit diesem defizitorientierten Blick stehen wir einer ressourcenvollen Haltung im Weg! Wenn ich den „Alles-optimieren-wollen“-Blick mal kurz ausschalte, gibt es sehr viel, von dem ich möchte, dass es noch lange so bleibt, weil es sich richtig gut anfühlt.

changement! Heft 01/2022

 

Autorin

Sirka Laudon
ist Vorständin People Experience und Arbeitsdirektorin bei der AXA Konzern AG. Zuvor hat sie in verschiedenen Führungspositionen bei Otto, Axel Springer und der Deutschen Bahn die Digitale Transformation dieser Unternehmen begleitet. Sirka Laudon ist Mitglied im Beirat von changement.
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Wie viele andere Finanzinstitute hierzulande befindet sich auch die DKB mitten in der Transformation. Dabei zeigt sie allerdings besonderen Ehrgeiz: Sie will nicht nur eine nachhaltige Tech-Bank werden, sondern gleichzeitig auch noch stark wachsen. Karsten Traum, Generalbevollmächtigter sowie Leiter Unternehmensentwicklung und Solutions, spricht im Interview über die Vision der Bank, kulturelle Spannungsfelder sowie die Transformations-Roadmap der DKB.

Herr Traum, mein Eindruck vom Bankenwesen war lange der, dass es sich um eine traditionelle und behäbige Branche handelt, die nicht in der Lage ist, sich wirklich zu wandeln. Mittlerweile lässt sich jedoch seit wenigen Jahren einiges an Veränderung im Bankensektor beobachten. Die Banken scheinen in der Mehrzahl verstanden zu haben. Teilen Sie diesen Eindruck?

Ja, den teile ich. Und ich glaube auch, dass der Wandel notwendig ist – insbesondere in Deutschland. Wenn man sich die Banken hierzulande anschaut, dann sieht man viele etablierte Institute, denen es lange Jahre sehr gut ging. Das Marktumfeld war überaus positiv. Das hat sich mit der Finanzkrise 2008 allerdings geändert. Mit der Krise haben mehr und mehr Banken verstanden, dass sich die Dinge auch ändern können: beispielsweise das Kundenverhalten, die Rahmenbedingungen oder die Regulatorik. Diesen Veränderungsdruck kann man nicht mehr aussitzen. Die Branche ist in Zugzwang geraten, sich zu wandeln. Das muss jedoch innerhalb eines schwierigen Spannungsfeldes passieren, das geprägt ist von sich ändernden Märkten, Kunden- und Mitarbeitererwartungen sowie unterschiedlichen Regularien durch die Politik.

Die DKB will sich nicht nur transformieren, sondern gleichzeitig ebenfalls wachsen. Sie hat sich einiges vorgenommen: Bis Ende 2024 will sie die Zahl von acht Millionen Kunden erreichen, derzeit zählt sie knapp fünf Millionen. Für diese fünf Millionen hat ihr Unternehmen etwa 30 Jahre gebraucht. Warum jetzt so ein ehrgeiziges Ziel?

Unsere Ambition hinsichtlich der Transformation einerseits und in Bezug auf das Wachstum andererseits passen gut zusammen. Das Ziel der acht Millionen Kundinnen und Kunden ist Ausdruck dieses Ambitionsniveaus, der Anspruch, dass wir zu den Großen und den Gewinnern der Branche gehören wollen. Zudem steckt hinter der Zahl ein qualitatives Wachstum der Bank.

Und wie erreichen Sie die acht Millionen?

Indem wir zum Beispiel unsere Prozesse komplett überdenken und in neue Systeme investieren. Wir nehmen gemeinsam mit unseren Gesellschaftern richtig Geld in die Hand, um die Bank zu transformieren.

„Mit den Prozessen und Systemen der vergangenen 30 Jahre wären acht Millionen Kundinnen und Kunden nicht zu schaffen.“

Aber wie genau geht die Rechnung? Die Prozesse werden schlanker, digitaler und kundenorientierter, sodass die Dienstleistungen und der Service der DKB für noch mehr Kunden interessanter werden?

Es ist vielschichtig. Das, was Sie nennen, ist die Basis für das Wachstum. Wenn man das nicht hat als Bank, braucht man nicht über acht Millionen Kundinnen und Kunden nachdenken.

Die DKB bringt als etablierte Online-Bank im Retail-Segment zum Glück gute Voraussetzungen für den Erfolg von morgen mit. Gerade hier sehen wir jetzt schon den Beginn der Konsolidierung im Markt. Vielen anderen Wettbewerbern geht die Luft aus, wenn man unter anderem die Cost-Income-Ratio-Entwicklungen der Banken anschaut. Wir stehen hingegen heute gut da. Der Wandel der Bankenbranche wird uns in die Karten spielen. Wir sehen das bereits heute Woche für Woche in den Zahlen. Deshalb ist das Wachstumsziel realistisch.

Hilft Ihnen dabei, dass Sie im Vergleich zu den meisten anderen Banken keine Filialen haben?

Wir sind im Online-Segment schon immer ohne Filialen gewachsen. Das ist im Retail-Geschäft für uns gelernte Praxis. Was jedoch viele vergessen, ist, dass die DKB neben dem Retail-Business ein großes Firmen- und Geschäftskundensegment betreibt. In diesem Bereich haben wir regionale Standorte, um Kundennähe herzustellen, aber keine klassischen Filialen. Das ist durchaus ein Vorteil.

Was sind die größten Herausforderungen, damit das Wachstum tatsächlich gelingen kann? Ist es vielleicht das Vorhaben, Digitalexperten, sprich: Techies, in ausreichend hoher Zahl zur Bank zu locken?

Die Antwort darauf hat mehrere Facetten. Zum einen brauchen wir für den Wandel natürlich Digitalisierungsexpertinnen und -experten mit den notwendigen Kompetenzen. Mindestens genauso wichtig ist eine Priorisierung der verschiedenen Themen und Vorhaben. Eine der größten Herausforderungen für Banken, aber auch für andere Industrien, ist, sich im Change- und Transformationsprozess nicht zu viel vorzunehmen. Es nützt nichts, wenn Sie hundert Techies einstellen, mit denen Sie in einem Jahr die Dinge nachholen wollen, die Sie in 30 Jahren zuvor nicht geschafft haben oder nicht angegangen sind.

Man braucht also neben den richtigen Profilen eine echte Transformations-Roadmap, das heißt eine klare Orientierung hinsichtlich der Frage: Wer macht was, wann, wie? In diesen Punkt haben wir viel Zeit und Energie investiert.

Und Ihre Transformations-Roadmap soll Sie zu dem Ziel führen, eine Tech-Bank zu werden?

Wir haben den Begriff der „nachhaltigen Tech-Bank“ geprägt. Im Bereich der Nachhaltigkeit sind wir schon gut unterwegs mit unserem Geschäftsmodell. „Tech-Bank“ steht für Technologieunternehmen mit Banklizenz. Das zeigt, wohin die Reise geht. Unser Chief Digital Officer und Vorstandsmitglied, Arnulf Keese, hat, als er bei uns anfing, den schönen Satz gesagt: „Wir sind ganz viele Banker bei der DKB, die alle ein bisschen mehr Techies werden müssen. Und die Techies müssen ein bisschen mehr Banker werden.“

Banken werden in Zukunft hochtechnologisiert und datengetrieben Geschäfte mit und an den Kundinnen und Kunden machen. Die Banklizenz wird wahrscheinlich eher eine Art Anhängsel sein.

Was sind die großen Säulen oder Handlungsfelder Ihrer Transformations-Roadmap?

In unserem Strategiekonzept zu unserem Wachstumspfad haben wir vier Säulen. Die erste Säule ist der „Kunde“. Die zweite Säule ist der „Markt“, die dritte sind die „Prozesse“ und die „Organisation“ bildet die vierte Säule. Und innerhalb dieser vier Säulen gibt es wiederum „Sub-Strategien“.

Beim Themenfeld „Kundinnen und Kunden“ geht es beispielsweise um die Frage, wie man die User Experience verbessern kann. Wir bauen mit unserer DKB Code Factory aktuell ein komplett neues Banking auf. Das haben wir bereits in der Beta-Phase veröffentlicht. Es ist ein MVP, ein Minimal Viable Product, das naturgemäß noch nicht fertig ist – und es wird vermutlich niemals fertig, sondern sukzessive immer weiterentwickelt. Ein anderes Beispiel ist unser DKB-Sofortkredit. Der erlaubt es unseren Kundinnen und Kunden nahezu in Echtzeit Kredite abzuschließen und direkt ausgezahlt zu bekommen.

Beim Thema „Markt“ schauen wir, wie wir uns positionieren wollen und was unsere Ziele sind. Hier spielen unter anderem viele Kennzahlen eine Rolle, wie zum Beispiel die von mir vorhin erwähnte Cost-Income-Ratio. Wir vergleichen uns mit Wettbewerbern, blicken aber genauso auch über den Tellerrand und benchmarken uns immer wieder mit anderen Industrien.

Bei der Säule „Prozesse“ betrachten wir sämtliche Prozesse der Bank. Wir schauen, welche den größten Hebel haben, zum Beispiel bezüglich der Kundinnen und Kunden. Wir untersuchen, wo wir zu langsam sind und wo wir investieren müssen. Die Analysen zeigen, an welche Prozesse wir zuerst herangehen sollten, um die Bank bis 2024 neu aufzustellen.

Beim Thema „Organisation“ haben wir sehr lange überlegt, ob wir die DKB in einem Ruck transformieren, wie es zum Beispiel die ING gemacht hat.

Wir gehen einen anderen Weg. Wir haben in den vergangenen anderthalb Jahren sehr viel pilotiert, in unterschiedlichen Bereichen Themen einfach mal ausprobiert. Jetzt sind wir an einem Punkt, an dem wir die Piloten auswerten: Was hat gut funktioniert? Und was nicht? Wo passt Agilität? Wo passt agiles Arbeiten gut mit Hierarchie und wasserfallartigem Arbeiten zusammen? Und wo müssen wir Rollen verändern?

Aus den Antworten solcher und ähnlicher Fragen entsteht das Zielbild in Bezug auf die Organisation in der DKB. Und es wird am Ende sehr wahrscheinlich nicht das eine Organisationsmodell sein, das wir über sämtliche Bereiche ausrollen.

Unter den vier Säulen war keine mit dem Namen „Digitalisierung“ oder „Technologie“. Liegt das Thema quer zu den anderen?

Unsere Vision ist ja die der „nachhaltigen Tech-Bank“. Da stecken zwei große Themen drin, die sich in der Tat einmal komplett durchziehen. Wir haben ganz bewusst nicht die eine Tech-Säule gewählt, weil man ein Unternehmen nicht über die eine Tech-Einheit transformieren kann. In vielen Finanzinstituten gibt es noch diesen Irrglauben, man könne einfach zum Chief Digital Officer oder in die IT-Abteilung gehen und dort den Auftrag zur Transformation abgeben. Das funktioniert nicht.

In jedem Bereich muss man sich anschauen, was man manuell oder digital bzw. automatisiert macht. Es geht um die Frage: Was braucht es, um die Dinge zukünftig schneller, effizienter und kundenorientierter zu machen? Und welche Technologie hilft dabei?

Welche Struktur verbirgt sich hinter den Säulen der Transformation? Sind das jeweils Workstreams mit Projektleitern, die sich den jeweiligen Themen annehmen?

Da stecken zum Teil Projekte dahinter, auch sehr große mit den entsprechenden KPIs, wie zum Beispiel die Überarbeitung unseres Firmenkundenkreditprozesses oder die Neukonzeption des Bankings. Das können aber auch kleinere Themen sein, die eher in der Linie bearbeitet werden.

„Uns ist wichtig, dass diese Veränderungsprozesse nicht nur in Projekten passieren, sondern sich ebenfalls in der alltäglichen Arbeit etablieren.“

Und welche Rolle spielt die Code Factory der DKB bei der Transformation?

Die DKB Code Factory war bei der Gründung 2018 für uns ein Experiment. Wir wollten die DKB als Arbeitgeberin attraktiver für Tech-Talente – auch international – machen und gleichzeitig eine agile und innovative Einheit für die Produktentwicklung schaffen.

Heute ist die DKB Code Factory mit über 110 Mitarbeitenden am Markt etabliert und angekommen. Sie ist aber kein ausgelagertes Innovation Lab, sondern integraler Bestandteil der IT-Wertschöpfungskette. Beispielsweise wird das neue Banking in der Code Factory programmiert. Es gibt also Wechselwirkungen in beide Richtungen und beidseitiges Lernen voneinander.

Lassen Sie uns noch mal auf die Säule „Organisation“ schauen. Was steckt genau drin an Themen? Geht es um Kultur, Rollen und Strukturen?

Die Organisations-Säule hat viele Facetten – bis hin zu Themen rund um die Veränderung der Organisationsstruktur der Bank. In den Piloten erarbeiten wir unter anderem, in welchen Ablaufstrukturen wir unterwegs sein wollen.

Könnten Sie es einmal konkret machen und anhand eines Pilotprojektes verdeutlichen, was in diesem Bereich bearbeitet wird?

Gerne. Wir können als Beispiel unsere IT-Abteilung nehmen. Die hat in der Vergangenheit ganz klassisch wasserfallartig und hierarchisch gearbeitet. Es gab die Bereichsleitung, darunter die Fachbereichs- und Teamleitungen. Nun haben wir auf eine agile Organisation umgestellt, die iterativ, also schrittweise vorgeht. Außerdem ist die Führung zweigeteilt. Es gibt einerseits die fachliche Führung sowie andererseits die Führung durch den People Lead, der oder die sich beispielsweise um Themen wie Weiterentwicklung kümmert.

Nun ist die Herausforderung zu schauen, wie die IT zu anderen Bereichen, wie zum Beispiel das Regulatory Office, hinsichtlich der Zusammenarbeit passt. Wenn die Regulatory-Fachbereichsleitung auf den Chapter Lead „Digital Products and Technology“ trifft, dann müssen die irgendwie miteinander sprechen können.

Das ist ein Cultural Clash?

Ich bin mir sicher, dass es den noch eine Zeitlang geben wird in den Banken. Dieser Cultural Clash ist bereits heutzutage im Geschäftsmodell angelegt. Denn einerseits gilt es für die meisten Institute, sich zu technologisieren und sich mit anderen Technologieunternehmen zu messen. Andererseits ist jede Bank gleichzeitig eine hochregulierte Organisation, die von der Bafin bzw. von der EZB kontrolliert wird.

„Es wird immer Subkulturen geben – und das ist auch richtig.“

Wenn ein Finanzinstitut nur in Richtung Tech geht, wird es eventuell andere relevante Themen wie Bankenauflagen oder Risikothemen niedriger priorisieren.

Allerdings ist es auch nicht sinnvoll, nur die Regulatory-Einheit zu fragen. Denn dann würde man in der Zukunft wahrscheinlich zu wenig Geschäft machen. Wie bei so vielen Dingen im Leben: Die Mischung macht’s.

Dieser Kulturwandel bzw. der Culture Clash, wo oder wie lässt sich der noch konkret greifen in der Organisation?

Am besten kann man ihn wahrscheinlich greifen oder erleben, wenn Projekte wieder in die Linie gehen. Nehmen wir zum Beispiel ein Projekt, in dem komplett agil an einem neuen Produkt oder Service gearbeitet wird. Wenn es dann in die Linie übergeben wird, merkt man häufig noch einen Culture Clash. Hier trifft an manchen Stellen ein schnelles, MVP-getriebenes Team auf die Legacy einer Bank. Dann stehen wieder eher konventionelle Fachbereichstreffen und Team-Jour-Fixes an, statt Experimentieren und „Dailys“. Dieser Übergang ist eine der größten Herausforderungen, die wir derzeit haben. Das Risiko dabei Mitarbeitende zu verlieren, ist nicht klein.

Ein wesentliches Element der agilen Organisation ist häufig die Produktentwicklung durch cross-funktionale, also interdisziplinäre Teams. Haben Sie dazu auch Piloten?

Das ist heute im Grunde genommen unsere Herangehensweise. Der Anstoß zu einem neuen Produkt kommt immer aus einem kundennahen Bereich, der zum Beispiel einen Need unserer Kundinnen und Kunden durch Beobachtung oder Befragung herausgefunden hat. Oder der Anstoß kommt aus der Strategie auf Basis von Marktbewegungen der Wettbewerber.

Im nächsten Schritt entstehen dann die cross-funktionalen Teams, beispielsweise bestehend aus Produktmanagerinnen und -managern sowie Mitarbeitenden aus der IT sowie unserem Bereich der Unternehmensentwicklung und Solutions.

Wir haben im vergangenen Jahr dazu ein Rollenmodell entwickelt. Es wird bei größeren Projekten herangezogen. Wir nennen es „Three in a
box“. Diese drei Steuerungsrollen sind: der Product Owner, der sich unter anderem um die Weiterentwicklung des Produkts kümmert; der Tech Owner, der in der Lage ist, Business- und Tech-Anforderungen zu übersetzen; sowie der Project Owner, dessen Aufgabe es ist, das große Themenpaket in kleine Teile zu schneiden und es „in Time“ und „in Budget“ über die Ziellinie zu bringen. Solche cross-funktionalen Teams gibt es mittlerweile in allen Bereichen der Bank.

Aufgrund der Transformation und ihrer Vision der „nachhaltigen Tech-Bank“ brauchen Sie das Commitment der Mitarbeitenden für die Veränderungen. Diese müssen die Motivation mitbringen, sich auch selbst zu verändern und beispielsweise neue Kompetenzen entwickeln. Mit welcher Strategie gehen Sie das an?

Zunächst einmal möchte ich betonen, wie wichtig die Kommunikation hierbei ist. Vor über drei Jahren haben wir unsere Social-Intranet-Plattform etabliert, die im Rahmen einer transparenten Kommunikation eine bedeutende Rolle spielt. Dort finden sich diverse News aus dem Unternehmen zu Projekten, Angeboten und so weiter. Und natürlich auch alles rund um die Transformation: Botschaften des Vorstands, die Vision, die Ziele von Projekten sowie ein Dashboard zum Status der Vorhaben. Unsere Mitarbeitenden wissen, wo wir als DKB hinwollen und wo wir uns auf der Reise befinden. Dadurch entsteht ein Stück weit Transformationsenergie und das ist die Basis für Veränderung.

Wir unterstützen alle, die bereit sind, sich weiterzuentwickeln und Neues auszuprobieren. Wir haben sowohl umfassende Reskilling- Programme als auch Formate, die zum Beispiel einen ersten Zugang in die Tech-Welt möglich machen.

Ich greife einmal eines heraus, unseren Coding Appetizer. Mitarbeitende ohne Tech-Hintergrund bekommen in Sachen Coding Schnupperstunden. Da geht es zum Beispiel um Java oder Python. Die Teilnehmenden probieren sich selbst aus und schreiben erste eigene Codes. Das Besondere dabei: Das Lernangebot kommt nicht von externen Coachs oder Seminaranbietern, sondern von unseren eigenen Leuten aus dem Tech-Bereich und die „kleinen Lernhappen“ lassen sich gut in den Arbeitsalltag integrieren.

Es wird Mitarbeitende geben, die den Wandel nicht mitgehen wollen oder können.

Sicher.

„Wir werden nicht jede und jeden auf diesem Weg mitnehmen können, wenn er oder sie es nicht will.“

Das kommunizieren wir jedoch ebenfalls sehr transparent. Wir wollen mit einer großen Klarheit unterwegs sein.

Macht das nicht auch manchen Angst?

Es mag manche geben, denen das Angst macht. Wir alle sollten uns immer wieder hinterfragen und dazulernen. Das gilt für mich selbst ganz genauso. Die eigene Veränderungsbereitschaft ist wichtig, denn die Umwelt um uns herum dreht sich rasant und es gilt, ihr mit der entsprechenden Energie zu begegnen. Angst habe ich davor nicht, aber Respekt.

Ich möchte in jedem Fall Teil der Transformation sein und bilde mich deshalb immer wieder weiter. Das kann und sollte jeder bei der DKB auch machen.

Was wünschen Sie sich mit Blick auf die Transformation für die DKB?

Ich wünsche mir zunächst, dass wir als Organisation und mit den Menschen gut durch die nächsten Pandemie-Monate kommen. Es ist wichtig, die Leute nicht zu überlasten. Wir müssen uns treu bleiben und nicht einfach zahlreiche Ideen in die Luft schmeißen, sondern unseren Plan jetzt sukzessive abarbeiten, um die Ziele zu erreichen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Jan C. Weilbacher

changement! Heft 01/2022

 

Interviewpartner

Karsten Traum
ist bereits seit 2012 bei der DKB (Deutsche Kreditbank AG) und sieht sich damit selbst schon beinahe als „Urgestein“ der Bank. Heute leitet er mit einem Kollegen zusammen den Bereich Unternehmensentwicklung und Solutions, in dem etwa 130 Mitarbeitende tätig sind. Gemeinsam beschäftigen sie sich vor allem mit der Entwicklung der Strategie sowie ihrer Umsetzung und Kommunikation in den Markt. Karsten Traum kann sich also nicht im strategisch-konzeptionellen Elfenbeinturm verschanzen, sondern muss die Themen auch auf die Straße bringen. Die Transformation der DKB treibt er so maßgeblich mit voran. Das Vertrauen des Vorstands hat er. Seit Kurzem ist er Generalbevollmächtigter der Bank.

»Karsten bei Linkedin

Change endlich ernst nehmen

Gibt es so etwas wie „Change Trends“? Veränderungsthemen, die viele Unternehmen branchenübergreifend derzeit stark im Fokus haben? Sehr schwierig. Ich habe mich trotzdem mal an eine sehr subjektive Liste der „Change Trends“ gewagt.

1. Workforce Transformation

Zu diesem „Jahrzehnt-Thema“ wird es noch viel Austausch geben, weil es eine Menge Unternehmen betrifft. Es werden insbesondere aufgrund der Digitalisierung und dem Einsatz entsprechender Technologien neue Kompetenzen notwendig sein. Solche Veränderungen sind sowohl für eine Organisation als auch für das Individuum ein enormer Kraftakt. Sie müssen begleitet werden. Aufgrund des Fachkräftemangels in vielen Bereichen sind Re- und Upskilling vor allem bei erfolgskritischen Jobs besonders wichtig.

Daneben geht es darum, in einem wettbewerbsintensiven Arbeitsmarkt neue Profile zu rekrutieren, während parallel Abbauprogramme stattfinden (können). Diese Gleichzeitigkeit von Personalaufbau und -abbau ist kein Widerspruch mehr. An dem Thema Workforce Transformation zeigen sich exemplarisch die hohen Anforderungen bezüglich des heutigen Gestaltens von Veränderungen in Organisationen.

2. New Way of Working

Die Mehrheit der Organisationen ist noch mittendrin oder fängt erst an, um das richtige Arbeitsmodell (der Zukunft) zu ringen – gemeinsam mit Betriebsräten, Führungskräften und Mitarbeitenden. Sind zwei, drei oder fünf Tage pro Woche mobiles Arbeiten möglich? Soll eine zentrale Regelung für alle getroffen werden oder entscheiden die Mitarbeitenden und/oder Teams zusammen mit der Führungskraft? Wie sieht der New Way of Working für die jeweilige Organisation bzw. die Teams aus? Diesbezüglich werden viele Unternehmen große Fragen entscheiden müssen, die massive Auswirkungen auf Kultur, Führung und die Art der Zusammenarbeit haben. Egal wie die Änderungen aussehen, in jedem Fall braucht es eine gute Change-Begleitung.

3. Lernen und Resilienz

Veränderungsfähigkeit gehört für die meisten Menschen in der Arbeitsgesellschaft zu den wichtigsten Kompetenzen, um zukunftsfähig zu bleiben. Veränderungen werden in immer kürzeren Zyklen auf uns zukommen. Hierfür braucht es ein gewisses Rüstzeug, um in einer dynamischen Welt gut bestehen zu können. Die Lust am Lernen sowie Resilienz sind ein Teil davon – und zwar nicht nur mit Blick auf Individuen, sondern ebenfalls mit dem Fokus auf Organisationen. Wie man diese Kompetenzen stärken kann und damit zum Teil einhergehend Verhaltens- und Kulturveränderungen begleitet, wird weiterhin ein großes Thema sein.

4. IT-Systeme

Noch stärker als in den vergangenen Jahren werden sich die Change-Experten und -Expertinnen mit großen Einführungen von Software, IT-Systemen und Technologieplattformen beschäftigen. Egal ob es ein ERP-System wie SAP S/4HANA, eine Digital-Workplace-Plattform oder ein cloud-basiertes HR-System ist: Meist geht es um gänzlich neue Prozesse, Kompetenzen sowie Verhaltensweisen, die auch Kultur verändern. Hier zielt eine Change-Begleitung unter anderem darauf, Ängste und Unsicherheiten zu adressieren, die Mitarbeitenden zu befähigen sowie erwünschtes Verhalten und neue Abläufe bestmöglich zu unterstützen.

5. Change Experience

Wie Mitarbeitende Veränderungen wahrnehmen und erleben, spielt für den Erfolg von Wandel eine große Rolle. Dennoch wird Change-Begleitung zum Beispiel bei Systemeinführungen zu oft nicht ernst genommen, wird Kommunikation vernachlässigt und fehlt das Bewusstsein für Change Experience. Das Ziel des positiven Erlebens von Veränderungen durch die Mitarbeitenden wird zukünftig sicherlich in der Breite stärker diskutiert werden. Zum positiven Erleben gehört beispielweise oft die Veränderung in Schritten, die Mitarbeitende einbezieht. Das kann zum Beispiel heißen, ein Projekt zunächst mit Pilotgruppen umzusetzen und mit deren Erfahrungen und Feedback weiterzuarbeiten. Eine solche Vorgehensweise werden sich auch mehr und mehr eher klassische Organisationen zu eigen machen. [JCW]

 

Klaus Doppler ist einer der profiliertesten Berater Deutschlands. Seit Jahrzehnten setzt er sich mit dem Thema Veränderungen auseinander und berät dazu Spitzenmanager und Unternehmenslenkerinnen. Im Interview „Ohne Change gibt es keine gute Führung“ spricht er über seine Erfahrungen mit Change und warum es nicht gut ist, Widerstand gegen Veränderungen zu ignorieren.